El-Gawhary zur Lage in Damaskus: "Neben Freude auch große Sorge“
Von Amina Beganovic
Was hat sich durch den Sturz des Assad-Regimes für die Menschen in Syrien bislang verändert, wie ist die Lage in der Hauptstadt Damaskus? Korrespondent Karim El-Gawhary lieferte am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal Eindrücke von vor Ort und beschrieb die aktuelle Stimmung im Land.
"Die Menschen sind das verhasste Regime losgeworden, das sie über ein halbes Jahrhundert regiert hat. Das heißt, die meisten in Syrien kennen nichts anderes als die Herrschaft Assads – in der über Hunderttausend in Kerkern verschwunden sind."
Es sei für viele Bürgerinnen und Bürger in Damaskas nach wie vor unglaublich, dass der Sturz tatsächlich passiert ist. Menschen seien auf Kamerateams zugelaufen, um mit ihnen zu sprechen, wie überfällig dieser Umbruch schon lange gewesen war – denn nun könnten sie endlich offen darüber reden.
Sorge in Syrien bleibt groß
Nebst all der Euphorie bereite aber die Frage, wie es nun für das Land weitergehen wird, vielen Syrern Sorge – trotz der Versicherung von Rebellen-Anführer Abu Mohammed al-Dschulani, dass es keinen Krieg mehr geben solle. Eine mutige Ansage, mit all den aktuellen Konflikten und Krisen im Nahen Osten.
Schon jetzt würde man miterleben, wie andere Mächte versuchen, das nun entstandene Vakuum in Syrien für sich auszunutzen, so El-Gawhary. "Israel nutzt die Chance, ohne Gegenwehr die gesamte militärische syrische Infrastruktur auf Jahre zu zerstören." Auch die Türkei würde die Gunst der Stunde nutzen, um gegen kurdische Einheiten im Norden des Landes vorzugehen.
Chance auf Demokratie und Rechtsstaat?
Auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass sich Syrien nun unter den HTS-Rebellen hin zur demokratischen Rechtsstaatlichkeit entwickeln könnte, bleibt der Korrespondent vorsichtig in seiner Einschätzung. Aber: "Es ist deutlich, dass die Rebellen einen friedlichen und geordneten Machtwechsel wollen." Dafür spreche auch die Ernennung von Mohammed al-Bashir als Übergangs-Premier. Man wolle "Chaos und Zusammenbruch, wie einst im Irak" verhindern.
Der stark islamistische Hintergrund der HTS-Rebellen würde die Frage nach der politischen Agenda jedoch noch unklar lassen. Sie würden jedoch bekräftigen, einen "inklusiven Staat für alle Syrer" aufbauen zu wollen – in dem auch Minderheiten wie etwa Christen sicher sein sollen.
"Wenn Regionalmächte an einem Strang ziehen …"
Welche Signale gehen indes von der Weltgemeinschaft Richtung Syrien aus? "Bisher sehe ich nur, dass niemand Israel oder die Türkei stoppt", so El-Gawhary. Seiner Einschätzung nach würden die internationalen Kräfte nun erstmal abwarten, wie es tatsächlich in Syrien weitergeht. "Natürlich bräuchte das Land, das wirtschaftlich komplett am Boden liegt, massive Unterstützung. Aber alle warten erst ab, wie das neue Syrien aussehen wird."
Viel hinge nun von den Regionalmächten ab, so der Experte. "Wenn die Türkei, der Iran und die Golfstaaten an einem Strang ziehen, um das Land zu stabilisieren, wird dieses neue Projekt Syrien nicht entgleisen." Falls jedoch alle "ihr eigenes Süppchen" kochen würden, würde es "bitter für Syrien" werden.
Rückkehr von Flüchtlingen?
Sowohl in der EU als auch in der Türkei herrscht außerdem die Hoffnung, dass nach dem Sturz Assads Stabilität in Syrien einkehrt und syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. El-Gawhary verortet einige dieser Rückkehrenden, er habe dies selbst bereits am Dienstag an der libanesisch-syrischen Grenze gesehen.
"Viele wollen endlich wieder ihre Verwandten treffen oder nachsehen, was mit ihren Häusern passiert ist. Die meisten warten aber ebenfalls erst mal ab, wie es tatsächlich in ihrem Land weitergeht."