Syrern droht Enteignung und Hunger
In Brüssel wird an diesem Mittwoch um Milliarden Dollar für die Versorgung der syrischen Bevölkerung gerungen. Mindestens 6,5 Millionen Menschen fehlt es an allem, die Kapazitäten der Hilfsorganisationen sind nach sieben Jahren Bürgerkrieg erschöpft. Der Kriegsherr selbst, Bashar al-Assad, arbeitet derweil fleißig weiter an seinem Machterhalt.
Sein jüngster perfider Schachzug: Unter dem Stichwort Wiederaufbau wird per „Dekret Nummer 10“ in jeder Gemeinde eine neue Behörde installiert, die Bebauungspläne ausarbeitet. Formellen Kataster gibt es ohnehin kaum, oder sie wurden – wie in der einstigen Widerstandshochburg Homs – im Krieg zerstört. Sowie ein neuer Bebauungsplan von der Behörde per Dekret erlassen wurde, tickt die Uhr: Jeder Syrer hat dann laut deutschen Medienberichten vier Wochen Zeit, um vor Ort selbst oder durch einen Verwandten nachzuweisen, dass er der Besitzer von Grund und Boden, einer Wohnung, eines Hauses – oder den Resten davon – ist.
Die Qual, keine Wahl zu haben
Vor allem für die Millionen Flüchtlinge im Ausland und Regimegegner ist das eine fast unlösbare Aufgabe. Zum einen hat nur ein kleiner Bruchteil überhaupt Eigentumspapiere, zum anderen droht vielen Syrern in der Heimat Folter, Tod oder zumindest Haft.
Die Konsequenz: In den Hochburgen des Widerstands, vormals überwiegend von Sunniten bewohnt, bekommt Assad durch die Enteignung viel Raum für neue Bauprojekte. Damit lassen sich ihm ergebene Geschäftsleute, Investoren, Milizführer belohnen. Unter der Kontrolle iranischer Firmen, fürchten Oppositionelle, könnten dort dann Schiiten angesiedelt werden.
Und während Assad und seine Verbündeten ihre Pläne für die Zeit nach dem Krieg immer mehr verfeinern, nimmt das Leid der Syrer kein Ende. UN-Hilfsorganisationen richteten am Dienstag bei einer Konferenz mit der EU in Brüssel einen flammenden Appell an die internationale Gemeinschaft, die Menschen nicht im Stich zu lassen. Allein heuer wurden weitere 700.000 Menschen innerhalb Syriens zur Flucht gezwungen. Doch die Hilfstöpfe sind leer, Millionen Syrer sind von Hunger bedroht. Ohne Deutschland, das fast die Hälfte des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in Syrien finanziert, sähe es ganz finster aus. Deutschland ist überhaupt mit Abstand der größte Geldgeber. 2017 waren es 1,68 Milliarden Dollar, die Berlin für Hilfszahlungen für Syrien freigab. Alle Geberstaaten gemeinsam schickten 7,5 Milliarden Dollar.
Heute soll nach den Expertengespräche bei einer Geberkonferenz in Brüssel weitere Milliarden gesammelt werden. Am Rande dieser Konferenz wird es Gespräche über einen möglichen Neustart von Friedensgesprächen geben. Kein leichtes Unterfangen. Aber ein Hebel dafür könnte, glauben Experten, die Wiederaufbauhilfe für Syrien sein (die Weltbank schätzt die Wiederaufbau-Kosten auf 200 Milliarden Dollar). Russland und der Iran könnten Druck auf Diktator Bashar al-Assad ausüben: Sie stehen als essenzielle Partner von Bashar al-Assads in der Poleposition für lukrative Großaufträge, wollen und können aber nach den kostspieligen Militäreinsätzen kein Geld mehr dafür springen lassen.
Ass nicht leichtfertig verspielen
Assad könnte also von Moskau und Teheran an den Verhandlungstisch gedrängt werden, um dort eine umfassende Lösung des Konflikts unter Führung der UNO zu finden. Das ist Europas Bedingung für großzügige Finanzspritzen für den Wiederaufbau. Dieses Ass sollten sich die Europäer im Verhandlungspoker nicht leichtfertig abluchsen lassen, warnte die deutsche Syrien-Expertin Kristin Helberg kürzlich im ZDF-Interview.