Politik/Ausland

Speed-Dating der Demokraten: Neun Minuten für das Weiße Haus

Der Schauplatz ist mit Bedacht gewählt. Die Multi-Millionärin Adrienne Arsht war in den 60er Jahren in der Luftfahrt-Industrie eine Überfliegerin. In dem nach ihr benannten „Zentrum für darstellende Künste“ in Miami wird heute (Mittwoch) und morgen ab 21 Uhr Ostküsten-Zeit genau so jemand gesucht. 20 demokratische US-Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen, die in gut 17 Monaten Donald Trump ablösen wollen, stellen sich zum ersten Mal einem Millionen-Publikum vor.

Der Verdaulichkeit halber wurden die auf zwei Stunden angesetzten TV-Debatten auf je zehn Teilnehmer begrenzt. Zieht man die Zeit für Werbe-Pausen und Moderatoren-Gags ab, bleiben jedem Aspiranten rund neun Minuten. Nicht viel, um beim Speed-Dating Eindruck zu schinden. Genug, um Sprücheklopfern ein Forum zu geben.

Schon durchgefallen

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Eigentlich gibt es bei der Anti-Trump-Partei inzwischen 25 Bewerber und Bewerberinnen. Aber Steve Bullock, Seth Moulton, Wayne Messam, Mike Gravel und der Späteinsteiger Joe Sestak erfüllten die Kriterien für Miami nicht: 65.000 Einzel-Spenden. Und mindestens ein Prozent-Pünktchen Zustimmung in drei landesweiten Umfragen.

Für das Gros der Kandidatinnen und Kandidaten geht es bereits ums Ganze, wenn NBC-Starmoderator Lester Holt den Premieren-Abend eröffnet. Viele dümpeln bei Bekanntheit und Zustimmung beharrlich in niedrigsten einstelligen Prozent-Gefilden. Hinterlassen sie in Florida keinen Fußabdruck, sinkt ihre Verwertbarkeit in den Medien. Und damit der Anreiz für Geldgeber, um ihre Kampagnen zu alimentieren.

Spenden-Untergrenze

Als Richtschnur gilt, dass Aspiranten, die bei den ersten offiziellen Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und South Carolina ab Februar 2020 wettbewerbsfähig sein wollen, bis dahin rund 50 Millionen Dollar im Spenden-Topf haben müssen. Für viele könnte der politische Schönheitswettbewerb daher bereits vorbei sein, bevor er richtig begonnen hat.

Schaut man auf das noch bedingt aussagekräftige Bild der Meinungsforschungsinstitute könnten nach Miami die amtierenden oder ehemaligen Kongress-Abgeordneten Tim Ryan (Ohio), Eric Swalwell (Kalifornien), Tom Delaney (Maryland) und Tulsi Gabbard (Hawaii) von einem frühen Aus betroffen sei. Bei Beto O’Rourke, der 2018 bei den Wahlen zum Senat in Texas knapp dem Platzhirsch Ted Cruz unterlag, wird Miami entweder Frischzellenkur sein – oder „sudden death“.

Marianne Williamson (spirituelle Autorin und Lebensberaterin), Andrew Yang (Internet-Unternehmer), Bill de Blasio (New Yorks Bürgermeister) und der frühere Wohnungsbau-Minister Julian Castro gelten mit Zustimmungs- und Bekanntheitswerten um ein Prozent schon an der Startlinie als so gut wie gescheitert. Auch die Ex-Gouverneure John Hickenlooper (Colorado) und Jay Inslee (Washington State) dürften mittelfristig in dieser Kategorie einzusortieren sein.

Im Kreis der Senatoren, die sich zu Höherem berufen sehen, muss man sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Namen Michael Bennet (Colorado) und Kirsten Gillibrand (New York) nicht auf Dauer einprägen. Bei Amy Klobuchar (Minnesota) und Cory Booker (New Jersey) ist die Prognosen noch schwierig. Tendenz: negativ.

Der Favorit

Bleiben jene übrig, auf die sich schon jetzt das mediale Interesse, Spender und eine bekannte Internet-Suchmaschine fokussieren: Joe Biden, Ex-Vizepräsident, und mit deutlichem Vorsprung Spitzenreiter. Dahinter kommen Bernie Sanders, Senator aus Vermont und 2016 Hillary Clinton parteiintern unterlegen, sowie die Senatorinnen Elizabeth Warren (Massachusetts) und Kamala Harris (Kalifornien). Der Fünfte im Bunde der „hopefuls“ ist Jungspund Pete Buttigieg (37), der offen schwul lebende Bürgermeister der 100.000-Einwohner-Stadt South Bend (Michigan).

Bidens Stern und auch der des „demokratischen Sozialisten“ Sanders sank zuletzt graduell. Obamas Vize leistete sich Äußerungen, aus denen vereinzelt Verständnis für Rassismus herausgelesen wurde. Bei Sanders ist der Glanz der Sturm-und-Drang-Kampagne von vor vier Jahren etwas matt geworden.

Kamala Harris wiederum steht im Verdacht, sich abseits ihrer juristischen Grandezza (sie war Generalstaatsanwältin) inhaltlich nicht packen zu lassen. Buttigieg, der als Außenseiter ins Rennen kam und sich durch viele kluge Auftritte gegen die Senioren-Riege seiner Partei profiliert hat, hat just mit einem tödlichen Polizeieinsatz in seiner Heimatstadt zu kämpfen.

Die Überraschung

Bleibt Elizabeth Warren. Die politisch Bernie Sanders nicht unähnliche Umverteilungspolitikerin sozialdemokratischen Typus macht seit Wochen schleichend Boden gut. Der Lohn: großflächige Zeitungsreportagen, die sie als Kämpferin und Steherin ausweisen. Ihr Alleinstellungsmerkmal: Sie hat für jedes Politikfeld offenbar ausgearbeitete Konzepte.

Warren ist heute gefühlt im Vorteil. Das Los hat sie als einziges Schwergewicht in der Mittwochs-Debatte platziert. Sanders, Harris und Buttigieg werden am Donnerstag mit verteilten Rollen versuchen, den Leitwolf Biden wegzubeißen, der sich als einziger dem Linksdrall seiner Partei widersetzt. Ende Juli wird das Schauspiel in Detroit wiederholt.

Laut Umfragen haben sich aber viele demokratische Wähler noch gar nicht richtig in die Auslese eingeschaltet. Nur 35 Prozent verfolgen das seit Jänner laufende Polit-Vorspiel intensiv.