"Sind im letzten Drittel des Kampfes"
Von Walter Friedl
Er ist Christ und stammt aus derselben syrischen Provinz wie der Clan von Machthaber Bashar al-Assad. Schon unter dessen Vater Hafez war der Aktivist Michel Kilo, 72, in Opposition zum Regime und deswegen in Haft. Auch dessen Sohn kerkerte ihn ein, was ihn nicht hinderte, weiterhin für eine demokratische Wende zu kämpfen. Seit zehn Monaten lebt er im Pariser Exil.
KURIER: Sie waren immer für eine inner-syrische Verhandlungslösung zur Beilegung des Konflikts. Gibt es noch Spielraum dafür?
Michel Kilo: Derzeit nicht.
Also eine militärische Lösung.
Wenn die Menschen Tag und Nacht bombardiert werden, haben sie ein Recht, sich zu verteidigen.
Aber die "Freie Syrische Armee" (FSA) ist den regulären Streitkräften waffentechnisch doch stark unterlegen.
Nur bedingt, die FSA hat viele Waffen erbeutet, auch über den Libanon, den Irak und die Türkei kamen welche ins Land. In manchen Gebieten herrscht ein Gleichgewicht. Und in Aleppo kontrollieren die Rebellen schon 80 Prozent der Stadt. Wir sind im letzten Drittel unseres Kampfes.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Seit einigen Tagen haben sich in dem Ort Querdahar zehn alawitische Familien gegen die ebenso alawitische Assad-Familie gestellt – Hafez al-Assad wurde hier geboren. Es gibt heftige Schießereien. Hier tut sich eine Kluft innerhalb der regierenden Alawiten auf. Viele Alawiten wollen nicht, dass sie alle untergehen, nur damit Assad im Amt bleibt.
Und wenn Assad weg ist, was kommt dann?
Wir arbeiten daran, eine starke Armee aufzubauen, deren Kern die FSA darstellt, kontrolliert von der Zivilgesellschaft. Dazu soll ein Weisenrat, bestehend aus 15 bis 20 Personen, gebildet werden. Ziel ist eine Übergangsregierung und eine neue Verfassung.
Aber die Opposition ist doch zersplittert.
Das ist eine große Lüge des Westens, damit er sich nicht mehr engagieren muss. In dem zuvor genannten Ziel sind sich alle einig.
Radikal-islamische Elemente haben zuletzt stark Zulauf erhalten. Müssen sich die Christen im Land fürchten?
Die FSA ist sicher nicht islamistisch. Aber es stimmt, dass diese Kräfte umso stärker werden, je länger der Konflikt dauert. Was die Christen anbelangt: Es gab in meinem Land noch nie in der Geschichte eine Christenverfolgung. Obwohl einige von ihnen mit dem Regime kooperierten, ist bis heute kein einziger getötet worden, mit Ausnahme von Geheimdienstmitarbeitern und Soldaten.
Wird die Türkei einmarschieren?
Derzeit nicht, vielleicht in einigen Monaten. Dann auch nur mit NATO-Rückendeckung.
Sie waren im Juli in Moskau. Wieso hält Russland derart eisern an Assad fest?
Außenminister Lawrow hat mir gesagt, dass sie auf Assad sofort verzichten könnten, wenn es eine Alternative gäbe. Uns trauen sie das noch nicht zu. Man wird sehen. Michel Kilo war jüngst auf Einladung des Österreich-Arabischen Kulturzentrums in Wien.
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