Politik/Ausland

Regner: "Wir sind viel mehr als eine Maschine für Gesetze"

Es ist einer jener an Regen nicht gerade armen Morgen in Brüssel. „Mein Weg zur Schnellbahn führt durch matschiges Gelände“, sagt Evelyn Regner und zeigt auf ihre Schuhe. Robust-sportlich. Und trotzdem in perfektem Einklang mit ihrer elegant, stilsicheren Erscheinung. Sie wohne außerhalb der Stadt, mit ihren beiden Kindern, erzählt die Delegationsleiterin der fünf österreichischen SPÖ-Abgeordneten zum EU-Parlament. „Und das ist auch gut so, es erdet mich, in größerer Entfernung zu den Glaspalästen, zu unseren „Raumschiffen“, in Brüssel zu leben.“ 


Marathonprogramm

Um sieben Uhr 15 gehen ihre Kinder aus dem Haus, ab 7 Uhr 16 hat die europäische Politik die 52-jährige Sozialdemokratin fest im Griff. Kein Tag verläuft gleich. Heute stehen 13 Termine auf  Regners Programm. Gespräche, Beratungen, Fraktions-Sitzung, Treffen mit einem hochrangigen Politiker, Teilnahme an einer Diskussionsrunde, Vorbereitung für Positionspapiere, ein Interview. Zuletzt noch ein Empfang hoch oben, in der Glaskuppel des Europäischen Parlaments: die neu ins österreichische Parlament gewählten Abgeordneten sind auf Brüssel-Besuch. 

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Ruhige Abende daheim auf der Couch? Das gibt es fast nie. Abends ist in Brüssel die Zeit für Empfänge, für das in der europäischen Hauptstadt unerlässliche Netzwerken. Dort, wo man sich Personen und heiklen Themen ungezwungener annähert, als es sonst die kühl-funktionellen Plenar- und Sitzungssäle der Brüsseler Institutionen erlauben. Und da ist noch die mehrtägige, allmonatliche Reise nach Straßburg – der mühsame, teure, zeitfressende „Wanderzirkus“ des gesamten Europäischen Parlaments. Den würde Regner liebend gerne sofort abstellen.  
Gewerkschaftsarbeit hat die studierte Juristin nach Brüssel geführt. Neun Jahre lang leitete sie hier das Büro des ÖGB. Ihre Themen, insbesondere der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping, Gleichbehandlung von Frauen und für mehr Steuergerechtigkeit hat die Sozialdemokratin als Abgeordnete mit ins EU-Parlament genommen. Was möchte die Delegationsleiterin der SPÖ-Abgeordneten hier, im Herzen der europäischen Gesetzwerdung, erreichen? Und was ist überhaupt möglich?

Warum Steuern sie interessieren

Verschwurbelte Erklärungen oder hochtrabende Utopien liegen der alleinerziehenden Mutter nicht. Konkret müssen die Dinge sein, so lässt sich ihr politisches Leitmotiv zusammenfassen, fassbar, verständlich, im Alltag der Menschen in Europa spürbar. „Für mich ist Europa nichts Abstraktes. Ideal wäre es,“ führt sie  aus, „zu ermöglichen, dass  alle Menschen in der Europäischen Union ein normales „langweiliges“ Leben führen könnten.“ Soll heißen: in Frieden, ohne Existenzängste, gleichberechtigt. 
Dazu zählt auch ihr Spezialgebiet – Steuern. „Das klingt sperrig, aber Steuern betreffen jeden“, sagt sie, und ganz besonders dann, wenn die Last ungleich verteilt ist. Oder wenn sich die internationalen Konzernmultis um ihre Abgaben drücken. Oder wenn sich Steuerparadiese auf Kosten anderer Länder bereichern. Das sind dann die Themen, in die sich Regner leidenschaftlich hineinhängt und für die ihr von ihren Kollegen im Parlament allseits große Expertise konzediert wird. Man sagt ihr nach, dass sie ihre Vorhaben mit großer Beharrlichkeit vorantreibt. Regner ist Mitglied in vier Ausschüssen, in drei weiteren ist sie stellvertretendes Mitglied - eine Marathonaufgabe. 

Ausbalancieren

Als Chefverhandlerin des Parlamentsausschusses für Beschäftigung und Soziales ringt sie derzeit um Regeln für die europaweit bestmöglichen Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer. Ein langwieriges Ausbalancieren, das viel Ausdauer, Sachkenntnis und Überzeugungsfähigkeit erfordert. Das Ergebnis, der eine Mehrheit der 751 europäischen Abgeordneten zustimmen muss, „ist letztlich immer ein europäischer Kompromiss“, sagt Regner. „In Spanien hat man andere Prioritäten als in Deutschland, Österreich ist bei diesem Thema auch in der Mitte des Geschehens, und so lernt man, die Dinge aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.“ 

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Der Schwierigkeit, Mehrheiten zu finden, steht ein riesiger Vorteil gegenüber: Im EP gibt es keinen Fraktionszwang. Da stimmen also schon mal Konservative mit Grünen oder Linke mit Liberalen, wenn es denn der Sache dienlich ist. Das führt unter den 18 österreichischen Abgeordneten hier in Brüssel dazu, dass man parteienübergreifend einander wesentlich offener zugetan ist (einige FPÖ-Mandatare ausgenommen)  als unter den Parteien daheim in Österreich.

Mehr politische Freiheit als daheim

Überhaupt sei man hier „ziemlich frei“, meint Regner lächelnd, wohingegen daheim erheblich mehr politische Zwänge bestünden. Das hört sich nicht an, als würde sie die Politik bald wieder in die Heimat zurücklocken. Dabei gehört die attraktive Sozialdemokratin zu den großen Personalreserven in den Reihen der SPÖ. Gerüchteweise galt sie fast schon als kommendes Mitglied für das Team um den neuen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Gerüchte aber lächelt Evelyn Regner einfach freundlich weg.
„Das Europäische Parlament führt leider in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer ein Schattendasein“, gibt die seit neun Jahren als EU-Abgeordnete tätige Regner mit offenem Bedauern zu. „Dabei sind wir viel mehr als eine Produktionsmaschine für Gesetze.“ Ohne Zustimmung des EU-Parlaments kann in der EU nichts Gesetz werden. Andererseits ist es hier, wo die Themen oft entstehen und bearbeitet werden. „Und ich kann mich so richtig ärgern“, schildert Evelyn Regner, „wenn sich ein österreichischer Minister als Kämpfer gegen Lohn-und Sozialdumping hinstellt, während wir hier schon lange vorher die ganze Vorarbeit geleistet haben.“

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Das Problem vieler EU-Abgeordneten: Daheim kennen sie nur wenige. Der Kontakt mit den Wählern und den Parteigremien daheim muss also umso intensiver gehalten werden. Und das bedeutet: Das Leben, ein ständiges Hin und Her zwischen Brüssel, Straßburg und Österreich, mit unendlich vielen Flügen und Autokilometern, verlangt viel Durchhaltevermögen ab. „Dauernd im Flugzeug sitzen, das viele Reisen ist körperlich sehr anstrengend“, schildert die gebürtige Wienerin, der man die Anstrengung kein bisschen  ansieht.

Mit den Sackerln in der Hand

Das liege wohl, wie sie meint und lacht dabei, an der „Leidenschaft“ für ihren Beruf, für die Möglichkeit, im EP tatsächlich Politik gestalten zu können. Bei all dem kämpfe sie auch darum, sagt sie, „Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Es kommt schon mal vor, dass ich schnell was einkaufen und mitsamt den Sackerln zu meinem nächsten Termin rennen muss.“

Einmal sei ein Treffen mit einem Präsidenten angestanden, erinnert sie sich,  „da musste ich schnell schauen, ob ich meine Sackerl schnell in einer unbeachteten Ecke abstellen kann.“