Die NATO erfindet sich neu
Der Afghanistan-Einsatz hat zu viele zivile Opfer gefordert. Während die „NATO-Alt“ den Abzug aus Afghanistan vorbereitet, probt die „NATO-Neu“ ein neues Kampfverfahren: Eine hoch mobile Stabsorganisation mit 460 Militärs und Zivilisten soll künftig innerhalb von drei bis fünf Tagen in der Lage sein, Einsätze möglichst ohne zivile Opfer zu führen. Erstmals wurde dieser mobile Einsatzstab im britischen Cornwall bei einer virtuellen Übung erprobt.
An der Atlantikküste am Luftwaffenstützpunkt Magwan wurde eine stacheldrahtbewehrte Zeltstadt gebaut. Britische Fernmelder haben Hochleistungsrechner installiert und Datenleitungen verlegt. Erstmals durfte mit dem KURIER ein österreichisches Medium den neuen Einsatzstab besuchen.
Virtueller Krieg
Im Herzstück, dem Operations-Center, sitzen etwa 200 Stabsoffiziere vor ihren Computern. An der Wand hängen Landkarten vom Horn von Afrika. Dort spielt der virtuelle Krieg des Manövers „Arcade Fusion“. Am Flatscreen an der Wand läuft der Nachrichtensender CNN. Man sieht Gefechtsszenen und Plünderungen. Und die Nachrichtensprecherin kommentiert die Abläufe. Diese CNN-Sendungen wurden extra für diese Übung produziert, um den Übungsteilnehmern eine möglichst realistische Situation zu bieten.
Ein Zelt weiter diskutieren hochkarätige ehemalige Diplomaten und Politiker. Auch sie sollen im NATO-Stab ihre Erfahrungen einbringen.
Diese multikulturelle Militärgesellschaft hat den Auftrag, in kurzer Zeit eine möglichst exakte Befehlslage für eine 150.000 Mann starke Streitmacht zu schaffen.
Bombardement
Dieses System resultiert aus den Erfahrungen aus Afghanistan. Zu oft ist es passiert, dass aufgrund von mangelhafter Bewertung der Aufklärung und von Missverständnissen zwischen den Teilstreitkräften unschuldige Zivilisten zu Tode kamen.
Sie sind sicher, es zu schaffen. Planungschef Robert Bateman: „Hier sind die besten Planer weltweit .“ Einsatzmöglichkeiten sieht er genug: „Wir arbeiten für alle – auch für die UNO und fürs Finanzamt.“ Er meint damit, dass es eben teuer sei, eine Armee in einen Raum zu bringen und zu verteilen. Und dass man auch im Krieg auf die Kosten achten müsse, was nur gute Logistikexperten könnten.
Die NATO steht vor großen Umwälzungen. Mit dem Abzug aus Afghanistan 2014 verliert sie ihre letzte große Mission. Politische Beobachter erwarten dann wieder eine Sinnkrise.
Egal, wie es mit der NATO weitergeht – für das neutrale Österreich besteht kein Handlungsbedarf. Botschafter Karl Schramek, Chef der 20-köpfigen österreichischen NATO-Mission in Brüssel: „Die Frage nach einer Mitgliedschaft stellt sich von keiner Seite.“ Österreich genieße vor allem wegen des entschlossenen Einsatzes des Bundesheeres in NATO-Kreisen höchstes Ansehen.
Neutrale
Auch ein hochrangiger US-Diplomat äußert dem KURIER gegenüber, dass es kein Interesse an einer Veränderung der Situation gebe. Der Hintergrund: Die NATO baucht fallweise gut integrierte Neutrale. Zum Beispiel bei der Operation in Libyen, wo es darum ging, die Nachbarländer zur Mitwirkung zu bringen. Eine Mitwirkung an einer Operation des „weißen Satan“ , wie die USA in diesen Regionen geringschätzig genannt werden, ist politisch schwierig. Deshalb wurden die blockfreien Schweden, die sich an der Libyen-Mission mit ihren Gripen-Jägern beteiligten, diplomatisch vorgeschickt. Und für die war es kein Problem, die Nachbarstaaten Libyens ins Boot zu holen. So können gut „embeddete“ Neutrale auch künftig bei NATO-Operationen die Rolle des Jolly Joker spielen.