Politik/Ausland

Proteste: Polen verbietet Abtreibung bei Fehlbildungen

Wer ein Kind mit schweren Fehlbildungen erwartet, darf in Polen die Schwangerschaft nicht mehr abbrechen: Diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ließ in Warschau und anderen Städten hunderte Demonstranten auf die Straße gehen. 

Die Entscheidung ist weitreichend, dann damit fällt eine der letzten Ausnahmen vom ohnehin schon sehr restriktiven Abtreibungsverbot in dem streng katholisch geprägten Land weg. Nach Ansicht der Richter verstoße die bisherige Regelung gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf Leben.

Die Folge daraus: ein faktisches Abtreibungsverbot in dem 38-Millionen-Einwohner-Land. Schwangerschaftsabbrüche bleiben nur mehr nach bewiesenen Vergewaltigungen möglich - oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter in Gefahr sind.

Parteiisches Gericht

Dass ausgerechnet der Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung getroffen hat, sorgt zudem für Unmut bei vielen Polen - denn das Gericht gilt als von der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vereinnahmt. 119 Mitglieder der konservativen Partei hatten sich im Vorfeld auch an das Gericht gewandt, um die Sache überhaupt ins Rollen zu bringen; sie wollte die geltende Gesetzeslage zu Fall bringen. Nur zwei der 13 Richter hatten eine abweichende Meinung.

Auch der ebenfalls von der PiS kontrollierte juristische Dienst des Parlaments hatte im Vorfeld argumentiert, das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben höher stehe als das der Frau auf selbstbestimmte Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch.

Damit fällt für viele Polinnen die einzig verbliebene Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs weg. Von den 1100 offiziell erlaubten Abtreibungen in Polen, die 2019 durchgeführt wurden, wurden 97 Prozent aufgrund des nun für rechtswidrig erklärten Paragrafen gestattet. Die beiden anderen Ausnahmen kommen so gut wie nie zur Anwendung.

"Gewalt des Staates gegen Frauen"

Frauenrechtsorganisationen kritisierten das Urteil deshalb scharf. Die Zahl der illegalen Abtreibungen mit gefährlichen Methoden werde damit steigen, wie Krystyna Kacpura von der Organisation für Frauenrechte und Familienplanung sagt: "Es ist grausam und verstößt gegen Menschenrechte, wenn Frauen gezwungen werden, eine Schwangerschaft zu Ende zu führen, obwohl der Fötus schwer geschädigt ist." Das sei "institutionalisierte Gewalt des Staates gegen Frauen".

Die Organisation geht davon aus, dass jedes Jahr 120 000 bis 150.000 polnische Frauen illegal Abtreibungen durchführen lassen, entweder im Untergrund, an ausländischen Kliniken oder zu Hause mithilfe von Medikamenten, die einen Abbruch der Schwangerschaft auslösen. In Österreich und Deutschland  ist ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn eine Beratung stattgefunden hat und eine Bedenkfrist eingehalten wurde.

Auch Ärztegruppen protestierten gegen die Entscheidung des Gerichts. Sie setze das Leben und die Gesundheit schwangerer Frauen aufs Spiel, hieß es. Mehr als 900 Ärzte unterzeichneten vor dem Urteil einen entsprechenden Appell.

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Einfluss der Kirche

Die Opposition zweifelt an der Legitimität des Verfassungsgerichts; es ist davon auszugehen, dass es vor europäischen Gerichten angefochten wird. Die bisherige Abtreibungsgesetzgebung ging auf einen Kompromiss aus dem Jahr 1993 zurück, der von der katholischen Kirche forciert worden war. Bis dahin - in der Zeit des Kommunismus - waren Schwangerschaftsabbrüche leicht und relativ leicht zugänglich.

Die Teilnehmerinnen der Proteste in Warschau hielten darum Spruchbänder wie „Sie haben Blut auf ihren Roben“ oder „Das Gesetz soll uns beschützen“ hoch.  Die Polizei verhinderte, dass sie zum Haus des Vizeministerpräsidenten und Vorsitzenden der PiS, Jaroslaw Kaczynski, marschieren konnten. 

"Ablenkungsmanöver"

Ihn nimmt die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza auch in die Pflicht: „In einer Zeit der schlimmsten Krise seit Jahren greift die PiS zum Streitthema Abtreibung, um ein Feuer zu entfachen und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von der katastrophalen Situation im Gesundheitswesen abzulenken - und davon, dass die Regierung mit der Pandemie nicht zurechtkommt.“