Politik/Ausland

Neue CDU-Chefin: Zwischen den Fronten

„Annigeleite Kelanpu Kalunbaoer“ – ihr Name ist ein Zungenbrecher, vor allem für ausländische Medien, wie sich im chinesischen Fernsehen beobachten ließ. Doch Annegret Kramp-Karrenbauer, (intern AKK genannt), designierte CDU-Chefin, hat jetzt ganz andere Sorgen. Der Bundesparteitag wirkt noch nach. Die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin ging mit 51,8 Prozent zwar als Siegerin hervor, aber gut 48 Prozent stimmten für Wirtschaftsanwalt und Ex-Fraktionschef Friedrich Merz. Hätten 18 Delegierte anders gestimmt, wäre er neuer Parteivorsitzender.

Bei einigen Anhängern sitzt die Enttäuschung also tief. Auch, weil sich Wertkonservative und Wirtschaftsliberale von der Wahl eine mögliche Kehrtwende versprachen: Ein Chef, der den Laden zusammenhält, klare Ansagen macht, mehr für die Wirtschaft tut und so schnell wie möglich Merkel im Kanzleramt ablöst. In der Jungen Union, tendenziell konservativer als die Mutterpartei, ist diese Stimmung seit vielen Jahren spürbar. Die Nachwuchsorganisation stellte 100 Delegierte, viele davon hätten für den Polit-Rückkehrer gestimmt bzw. Gesundheitsminister Jens Spahn, berichtet einer von ihnen. „Bei einer Mitgliederbefragung hätte sie kaum Chancen gehabt“, so Maximilian Lüderwaldt, Kreisvorsitzender  in Altona. Dennoch hätten die Delegierten so gewählt, das sei in einer Demokratie zu akzeptieren, meint der Jura-Student. „Es wird jetzt ihre Aufgabe sein, die Lager zusammenzuführen."

Projekt: Wiedervereinen

Noch am Samstag startete Kramp-Karrenbauer einen ersten Versuch, eine Art Friedensangebot: Sie schlug den 33-jährigen Chef der Nachwuchsorganisation, Paul Ziemiak, als Generalsekretär vor. Sie wolle die „jüngeren Generationen in den Erneuerungsprozess" einbinden, sagte sie. Doch hinter der Entscheidung steckt auch die Absicht, die Konservativen mehr zu integrieren: Ziemiak ist ein Freund von Jens Spahn und hat als Merkel-Kritiker viel Aufmerksamkeit generiert. Dennoch ging der Plan nicht ganz auf, Ziemiak wurde mit schwachen 62,8 Prozent gewählt. Wieso?

Dass sich der Spahn/Merz-Anhänger weder für den einen noch für den anderen explizit aussprach, stieß vielen sauer auf. Es kursiert gar das Gerücht, er habe sich aus Kalkül zurückgehalten, wohlwissend, dass ihn AKK für den Posten fragen würde. Manche bekrittelten wiederum, ihm fehle die Erfahrung, andere Delegierte hätten sich lieber einen Mann aus dem Osten für den Job gewünscht.

Ziemiak deutete in seiner Bewerbungsrede an, dass ihm manche Anhänger von einem möglichen Job-Angebot abgeraten haben. Er wolle aber die Partei erneuern, erklärte er seine Beweggründe und versprach eine „neue Diskussionskultur“. Ziemiaks Organisation wird sich jedenfalls bald einen neuen Vorsitzenden suchen müssen, er lässt sein Amt als JU-Chef ruhen.

Geht es nach Maximilian Lüderwaldt, dann sollte sein Nachfolger aus dem konservativen Lager kommen, wie etwa Philipp Amthor. Der Schatzmeister der CDU-Nachwuchsorganisation und jüngste Abgeordnete im Bundestag schaffte es zuletzt mit einer Gegenrede in Richtung AfD zu größerer Bekanntheit („Hören Sie mir mal zu, dann können Sie nämlich noch was lernen über die Verfassung"). Er könnte der JU dabei helfen, die Niederlage von Merz zu verkraften, ist Lüderwaldt überzeugt.

Was wird aus Merz?

Auf Friedrich Merz wollen viele in der CDU aber weiter nicht verzichten, besonders der Wirtschaftsflügel. „Friedrich, wir brauchen dich“, rief Carsten Linnemann, Chef der Mittelstandsunion, am Parteitag, und schlug einen Tag später im ZDF vor, zumindest dessen inhaltliche Positionen zu übernehmen. Denn, ob sich der 63-Jährige überzeugen lässt, weiter für die Partei aktiv zu sein, ist noch offen. Er wollte sich in Hamburg nicht ins Präsidium wählen lassen, was Unterstützer irritierte.

Hinter den Kulissen wird überlegt, wie man ihn einbinden könnte. Ein Delegierten-Kreis aus Baden-Württemberg will ihn als Wirtschaftsminister sehen, den Posten hat derzeit Peter Altmaier inne. Oder, vielleicht das Verteidigungsressort? Ursula von der Leyen ist angezählt, ihr droht zudem ein U-Ausschuss wegen einer Affäre zu externen Beratern. Mehr als fraglich ist aber, ob Merz überhaupt im Kabinett seiner ehemaligen Rivalin Angela Merkel arbeiten würde, ohne weiter mit ihrem Amt zu liebäugeln.

Kramp-Karrenbauer hat es jedenfalls fest im Visier, wie sie wissen ließ. Zunächst folgen aber Bewährungsproben in der Koalition. Und da erwarten ihre Kritiker deutliche Signale. Der Kanzlerin, die bisher auch Vertraute ist, wolle sie Paroli bieten, „wo es im Interesse der Partei notwendig ist“, kündigte sie an. Inhaltlich könnte die Sozialpolitikern mit ihrer konservativ-gesellschaftspolitischen Überzeugung Akzente setzen – und für Reibungen sorgen, wenn die SPD und Union demnächst im Koalitionsausschuss über das Werbe- und Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche debattieren. Was die SPD bereits mit Sorge am Schirm hat: AKK kündigte „Werkstattgespräche“ zu Migration und Sicherheit an, um „konkrete Verbesserungen“ zu erarbeiten, erklärte sie in der Bild am Sonntag. Dazu will sie Experten, aber auch Kritiker von Merkels Kurs involvieren. SPD-Parteivize Ralf Stegner warnte sie nun via Tagesspiegel vor einer Wende und möglichen Abweichungen im Koalitionsvertrag.

Dass sie bei diesen Themen aufs Tempo drückt, hat nicht nur mit interner Versöhnungsarbeit zu tun: 2019 stehen Wahlen an - im Europaparlament sowie in den Landtagen von Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo die AfD derzeit bei mehr als 20 Prozent steht. Was AKK bereits entgegenkommt: Laut Forsa sprang die CDU/CSU nach ihrer Wahl über die 30-Prozentmarke auf 32 (im Oktober waren es noch 26 Prozent), das ist zwar nur ein Stimmungsbild, aber mit  Blick auf ihre Kritiker in der Partei keine schlechte Starthilfe.