Politik/Ausland

"Wer auf Malta Freundlichkeit erwartet, ist hier falsch"

Kobi muss nicht lange überlegen. Natürlich ist er sicher – hier sind sie begraben. Kobi, Anfang vierzig, blaue Arbeitshose, zeigt auf die drei leeren Betonplatten im hintersten Winkel des Friedhofs von Addolorata. Hier liegt also das Grab jener 24 Flüchtlinge, die nach dem historischen Bootsunglück im April dieses Jahres nach Malta gebracht wurden. Bis zu 820 Menschen ertranken damals vor der Küste Libyens. Ein früher, längst verhallter Weckruf für Europas Politik.

Sechs Monate später erinnern nur noch diese anonymen Gräber an das Unglück. Einen Grabstein, eine Gedenktafel gar, sucht man vergebens.

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„Dafür sollten normalerweise die Angehörigen Sorge tragen“, erklärt die Frau von der Friedhofsverwaltung schulterzuckend. Kobi, der Flüchtling aus Ghana, der hier am größten Friedhof Maltas arbeitet, hat seine eigene Erklärung. Malta mache eben immer nur das Nötigste. „Wer Freundlichkeit erwartet, ist hier falsch.“

Die Insel ist voll


Seit 2002 ist Kobi jetzt auf dem kleinen Inselstaat an der südlichen Grenze Europas. Er war einer der ersten Flüchtlinge, die hier gelandet sind. Die Flüchtlingskrise, die aktuell ganz Europa verunsichert – hier dauert sie schon mehr als 13 Jahre an. Rund 19.000 Menschen sind in der Zwischenzeit gekommen. Eine Zahl, die in Anbetracht der Lage in Österreich und Deutschland verschwindend gering klingen mag, für die ehemalige britische Kolonie mit ihren 420.000 Einwohnern jedoch eine gewaltige Herausforderung bedeutet.

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Malta ist nicht nur das kleinste Land der EU, es ist auch das mit Abstand am dichtesten besiedelte. „Malta ist doch winzig, die Insel ist voll.“ Vom Taxifahrer bis zum Frisör – dieser Satz ist in den engen Gassen der Hauptstadt Valletta allgegenwärtig. „Die Malteser sind Flüchtlingen gegenüber eher skeptisch“, erklärt Mark Cachia vorsichtig. In seinem kleinen Büro in einem der vielen dicht verbauten Vororte der Hauptstadt Valletta berät der Pater vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Asylwerber in Rechtsfragen. Die Zivilgesellschaft würde sich, anders als man das gerade in Deutschland und Österreich sehe, heraushalten, bedauert der Jesuitenpater. „Sagen wir es so: Eine Willkommenskultur gibt es hier jedenfalls nicht.“

Unhygienisch, desolat, überfüllt das war einmal

Bis vor Kurzem schlug sich das auch in einem der restriktivsten Asylrechte Europas nieder. Kobi weiß nur zu gut, was das bedeutet. 18 Monate musste er nach seiner Ankunft in Malta in einem sogenannten „Detention Center“ verbringen. „Ein Gefängnis, im Endeffekt“, beschreibt er die Zustände dort, die auch in einem Bericht von „Ärzte ohne Grenzen“ 2009 kritisiert wurden. Unhygienische, desolate Unterkünfte, und vor allem: vollkommen überfüllt, hieß es damals.

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Eine Kritik, die Steve Tortell bis heute ärgert. Als Chef der Behörde „for the welfare of Asylum Seekers“ (AWAS) ist er verantwortlich für die Unterbringung der Flüchtlinge. „Es ist nun mal nicht so einfach, so große Aufkommen zu bewältigen“, sagt Tortell bei der Führung durch das Marsa Open Center. Hier, in einem alten Schulgebäude zwischen Schnellstraße und Containerhafen, befindet sich eines der acht Aufnahmelager, in dem Flüchtlinge bis zu einem Jahr leben können, nachdem sie das Detention Center verlassen dürfen. „Damals hat man uns von allen Seiten kritisiert. Jetzt sehen ja auch Österreich und Deutschland, wie schwierig es ist auf so eine Situation vorbereitet zu sein“, sagt Tortell und öffnet die Tür zu einem voll ausgestatteten Computerraum. „Der war damals auch schon da – nur wurde er nicht im Bericht erwähnt.“

Inzwischen hat sich die Lage in Malta entspannt. In den lokalen Medien ist von einem Geheimabkommen zwischen dem neuen Ministerpräsident Joseph Muscat mit seinem Amtskollegen Renzi in Rom die Rede, das dafür sorgt, dass Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, direkt nach Italien gebracht werden. Nur zwei Boote mit Flüchtlingen sind heuer auf der Insel gelandet - dabei sind auch dieses Jahr mehr als 130.000 Flüchtlinge über die südliche Mittelmeerroute nach Italien gereist. Auch die 28 Überlebenden vom Bootsunglück im April sind nach Sizilien gebracht worden - nach Malta kamen nur die 24 Leichen.

Abermals weit entfernt geglaubter Brennpunkt der Flüchtlingskrise, hat sich der Fokus in Malta so inzwischen verschoben. Das Gipfeltreffen der EU mit afrikanischen Staaten zur besseren Koordination der Flüchtlingspolitik findet nicht zufällig in der Hauptstadt Valletta statt. Mit der EASO – dem europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen – ist hier seit 2011 eine Schlüsselbehörde für das neue Umsiedelungsprogramm der EU beheimatet.

Hier gibt es Arbeit - für Flüchtlinge auch schon während des Asylverfahrens


Innenpolitisch ist man von der Krisenpolitik abgekommen und widmet sich nun neuen Aufgaben: der Integration. Von den 19.000 Flüchtlingen, die seit 2002 überwiegend aus Subsahara-Afrika (v.a. Somalia und Eritrea) nach Malta kamen, haben sich zwar rund zwei Drittel wieder aufgemacht, sind nach Italien oder Frankreich, mehr als 2400 sind im Rahmen eines eigenen Programms auch in die USA weitergereist. Doch was man mit den rund 6.000 Menschen, die im Land geblieben sind, macht, habe in der Vergangenheit kaum jemanden interessiert, erklärt Jesuitenpater Cachia.

Das hat sich erst mit der neuen Regierung, seit 2013 im Amt, geändert. Die viel-gescholtenen Detention Center gehören de facto der Vergangenheit an, eine neue Gesetzesinitiative soll künftig auch den Familiennachzug deutlich erleichtern, Fortbildungsprogramme werden forciert. Denn Malta geht es wirtschaftlich gut. Hier gibt es Arbeit – für Flüchtlinge auch schon während ihres Asylverfahrens.

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Im Hafenviertel, an den staubigen Straßen rund um das Marsa Open Center, warten Dutzende Männer darauf, dass einer der zahlreichen klapprigen Klein-Lkw anhält. 30 bis 40 Euro am Tag könne er so verdienen, erklärt Abdulai. Am Arbeiterstrich, auf einer der zahlreichen Baustellen der Insel, als Anstreicher oder Maurer. Der hagere junge Mann aus Mali ist 2013 nach Malta gekommen. Glücklich ist er hier nicht geworden. „Natürlich, es gibt Arbeit. Aber oft bezahlen sie dich einfach nicht, oder weniger als abgemacht“, sagt Adbulai. Von den Integrationsbemühungen der Regierung hat er noch nichts gemerkt. "Ich wollte nie nach Malta, einfach nur weg aus Mali", sagt er heute. Gemeinsam mit zwei Freunden überlegt er, sich im Winter nach Italien aufzumachen.

Kobi hatte mehr Glück. Seit drei Jahren arbeitet er jetzt auf Maltas größtem Friedhof, pflegt die dicht gedrängten Gräber, kehrt die von Tannennadeln übersäten Wege. Eine mühsame Arbeit. Aber: Arbeit – mit regelmäßigem, festem Gehalt. Nur ein voller Aufenthaltstitel fehlt noch. Kobi, der Mann aus Ghana, ist in Malta lediglich geduldet, muss seinen Aufenthaltstitel jährlich erneuern. „Es ist schwierig, so seine Zukunft zu planen“, sagt Kobi. Ob die Integration so gelingt? Jesuitenpater Cachia ist optimistisch. Natürlich sei es noch ein langer Weg. „Aber der erste Schritt ist getan.“ Auch wenn es dafür mehr als zehn Jahre gebraucht hat.

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Dieser Bericht entstand im Rahmen von "Eurotours 2015", einem Projekt des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt, finanziert aus Bundesmitteln.