Politik/Ausland

Paris fürchtet franko-belgische Terror-Achse

"Frankreich und Belgien sind durch das Grauen verbunden, das wir ein weiteres Mal teilen", sagte der französische Präsident François Hollande nach der Terror-Serie in Belgiens Hauptstadt.

Brüssel und Paris leben – fast – im gleichen Takt des Terrors. Schon knapp nach den ersten Meldungen über die Anschläge von Brüssel organisierte Hollande im Élysée-Palast eine Krisensitzung. Gleichzeitig wurden in den französischen Flughäfen, Bahnhöfen, Häfen und weiteren neuralgischen Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs die bereits patrouillierenden Sicherheitskräfte abermals aufgestockt und die Kontrollen verschärft. Ab sofort ist für die Benützung aller Pariser Öffis ein Personalausweis vorgeschrieben.

Vernetzung

Tatsächlich hat der Dschihadismus die Vernetzung von Paris und Brüssel (Entfernung: 3,5 Stunden per Auto und 1,5 mit der Bahn) zu einer quasi gemeinsamen, frankophonen Metropole auf seine Weise begleitet. Fast alle – identifizierten – Attentäter und die unmittelbaren Organisatoren der Massaker vom vergangenen November in Paris wohnten zumindest zeitweilig in dem inzwischen weltberühmten Brüssler Migrantenviertel Molenbeek. Sie wechselten zwischen den beiden Hauptstädten, wie man zwischen Wien und Graz pendelt. Sie hatten Verwandte hüben und drüben, verbanden Geschäftliches – also Drogendeal und später Waffenschieberei – mit Unterhaltsamen – also Spritztouren in die trendigen Pariser Ausgeh-Meilen, in denen sie schließlich 130 Personen umbrachten.

Der am vergangenen Freitag in Molenbeek festgenommene Salah Abdeslam verkörpert diese Achse Paris-Brüssel. Der 26-Jährige gilt als einziger noch lebender direkter Teilnehmer der Pariser Anschläge und wird in den nächsten Monaten nach Frankreich ausgeliefert werden – was umso leichter fallen dürfte, als Abdeslam französischer Staatsbürger ist. Sein Vater, noch zur französischen Kolonialzeit in Algerien geboren und später nach Brüssel ausgewandert, behielt und übertrug die französische Staatszugehörigkeit an seine fünf Kinder.

Gemeinsam mit Salah Abdeslam war auch sein Bruder Brahim zu den Anschlägen nach Paris im November aufgebrochen und dort von der Polizei getötet worden. Ein belgischer Freund, der sich damals in Paris aufhielt und den überlebenden Salah nach Brüssel zurückchauffierte, gab später bei der Polizei zu Protokoll: "Er weinte, schrie und erzählte, das er Leute getötet hatte. Er war besonders gegen die Juden aufgebracht und hat mehrmals angekündigt, sie werden für den Tod seines Bruders noch bezahlen."

Bier, Gras und Mädchen

Das Brüderpaar hatte zuvor in Molenbeek gemeinsam ein Lokal betrieben, in dem nicht nur Bier angeboten wurde, wie die ortskundigen Cannabis-Raucher wussten. In einem Porträt, das die Zeitung Le Monde veröffentlichte, wird Salah Abdeslam als stets hypermodisch gekleideter Verführer geschildert, der sich dem Dreigespann "Bier, Gras und Mädchen" verschrieben habe. Seine anhänglichste Freundin, eine 16-Jährige, berichtete: Salah habe zuletzt öfters gebetet, sei aber in seiner schusseligen Art nicht imstande gewesen, die vorgeschriebenen muslimischen Gebetszeiten einzuhalten.

Mangel an Frömmigkeit

War dieser sichtbare Mangel an Frömmigkeit eine Täuschungsstrategie gegenüber den Behörden? Jedenfalls war auch ein weiterer Attentäter von Paris, Abdelhamid Abaaoud, ursprünglich vor allem als Herzensbrecher und Delinquent in Molenbeeker Kreisen bekannt. Wegen eines bewaffneten Raubüberfalls verbüßte er 2010 mit seinem Komplizen Salah Abdeslam eine Haftstrafe. Eine angehende Romanze verband ihn über die franko-belgische Grenze hinweg mit seiner Cousine in einer Pariser Vorstadt. Hasna Ait-Boulahcen, eine ziemlich ausgeflippte Kokain-Konsumentin, ließ sich von Abaaoud in den Dschihad ziehen und starb an seiner Seite im Kugelhagel in einem von der Polizei ausgehobenen Versteck fünf Tage nach den Anschlägen von Paris.

Kumpel in Syrien

Wer nicht schon vorher familiär oder freundschaftlich zwischen Frankreich und Belgien vernetzt war, knüpfte spätestens im Bürgerkriegsland Syrien Beziehungen über die sprachlich-kulturellen Gemeinsamkeiten. Im "Islamischen Staat", der Terrormiliz IS, bildete sich ein mehr oder weniger eigenes, von syrischen Zivilisten besonders gefürchtetes und abgehobenes frankophones Milieu – schon allein weil Leute wie Salah Abdeslam Arabisch oder Englisch bestenfalls radebrechend können. Französische Behörden schätzen diese zusammengewachsenen franko-belgischen Dschihadisten-Cliquen auf zwei bis dreitausend Personen.