Politik/Ausland

Schweiz spaltet jetzt auch Europa

KURIER: Wie muss Europa auf das Ergebnis des Referendums in der Schweiz reagieren?

David Lidington: Empörung ist die falsche Reaktion, es war eine demokratische Entscheidung, und in Europa herrscht Demokratie. Wir wissen, dass es nicht das Ergebnis ist, das die Schweizer Regierung wollte, sollten also ruhig reagieren – jetzt muss sie entscheiden, wie es weitergeht.

Großbritannien hat selbst kürzlich Beschränkungen für Zuwanderer, auch aus EU-Staaten, eingeführt. Widerspricht das nicht der Grundhaltung der EU?

Ein Vorteil, EU-Mitglied zu sein, ist, dass man bei der Änderung von EU-Regeln mitreden kann. Jeder, der uns vorwirft, nur die Rosinen aus der EU rauspicken zu wollen, hat Premier Cameron nicht zugehört. Wir passen in vielen Punkten einfach unser System an, was in Ländern wie Österreich längst Praxis ist. Wir tun das zu einer Zeit, in der die Regierung enorme Kürzungen für britische Bürger erlassen hat. Es ist also absolut vernünftig, den Zugang zum Sozialsystem für Leute zu hinterfragen, die gerade in Großbritannien angekommen sind, egal aus welchem Land.

Aber ist Großbritannien nicht Vorkämpfer für den europaweiten Arbeitsmarkt gewesen?

Für die Glaubwürdigkeit der EU ist wichtig, dass wir zwischen dem Recht von Arbeitskräften auf einen offenen Arbeitsmarkt unterscheiden, und dem nicht gerechtfertigten Anspruch von Leuten, irgendwo hinzuziehen, vor allem, wenn es um Sozialhilfe geht oder darum, die Gesetze zu brechen und Verbrechen zu begehen. Dafür muss es eben Konsequenzen geben.

Wächst die Angst vor Ausländern in Großbritannien?

Es gibt doch nicht nur in Großbritannien große Ängste in der Bevölkerung vor unbeschränkter Zuwanderung, aber auch Frustration über viele andere Regeln, nach denen die EU funktioniert. Die Enttäuschung ist doch in Spanien und Frankreich größer als bei uns. Schauen Sie sich den Aufstieg sowohl rechter als auch linker politischer Parteien an. Da gibt es ja beinahe faschistische Bewegungen in Europa. Das sollte uns Sorgen bereiten.

Die Briten scheinen aber ständig ihre Eigeninteressen auf Kosten der EU zu vertreten?

Wir haben Länder in der Euro-Zone, die die Wirtschafts- und Finanzpolitik stärker vereinheitlichen wollen. Wir sagen okay, das ist die Logik des Euro, aber wenn ihr die Regeln ändern wollt, wollen wir Sicherheiten, dass Grundsätze wie etwa der gemeinsame Markt weiter funktionieren. Die Franzosen kämpfen für ihre Landwirtschaft, die Deutschen für ihre Autoindustrie, jedes Land vertritt eigene Interessen, wir sind da keine Ausnahme.

Gibt es da nicht eine grundsätzlich negative Haltung gegenüber Brüssel?

Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, wenn wir schwierige Fragen an Brüssel richten, wenn wir den Sinn gewisser Regeln verstehen wollen und verlangen, dass man die Konsequenzen durchdenkt. Es gibt eine wachsende öffentliche Enttäuschung über die mangelnde Transparenz und die Entrücktheit, mit der in Brüssel Entscheidungen getroffen werden. Wir haben das Problem, wie wir Beziehungen unter immer unterschiedlicheren EU-Staaten organisieren, wo eben nicht jeder denselben Weg gehen will, sich nicht jedes Mitgliedsland in jedem Gebiet der Politik genauso stark integrieren will.

Wie sehen die britischen Ansätze für eine EU-Reform aus?

Wenn wir einer Viertelmillion junger Menschen in Europa wieder Arbeit geben müssen, müssen wir die Regulierungen in der EU vereinfachen, die Kosten, die diese Regeln verursachen, senken. Wir müssen einfach wettbewerbsfähiger werden. Die nationalen Parlamente müssen wieder mehr das Sagen haben. Es ist jedem Mitgliedsland überlassen, wie er sein Sozialsystem gestaltet.

Verleihen Sie mit Ihrer Kritik nicht antieuropäischen Parteien wie der britischen UKIP zusätzlich Auftrieb?

Europa ist nicht der Hauptgrund, warum Menschen die UKIP unterstützen, es geht vielmehr um Protest gegen etablierte politische Parteien. Sich für eine EU-Reform zu engagieren, wie David Cameron das tut, ist der Versuch, einen Weg in die Zukunft zu zeigen. Diese Reformen sollen die Unterstützung der Menschen für die EU wieder steigern. Derzeit nimmt sie europaweit ab. Es kann doch nicht die Antwort der europäischen Politiker sein, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass das Problem verschwindet. Wenn man es ignoriert, wächst es nur weiter.

Was also wären die vordringlichsten Maßnahmen?

Wir brauchen eine Liberalisierung der Dienstleistungen, eine Senkung der Energiekosten. Die USA setzen jetzt auf Schiefergas und senken ihre Energiekosten und holen so Betriebe zurück aus Asien. Europa könnte dasselbe tun. Wir müssen es den einzelnen EU-Ländern freistellen, ob sie auf Schiefergas setzen oder nicht. Es sollte ambitionierte Regeln für den Ausstoß von Treibhausgasen geben, aber jedes Land soll seinen eigenen Weg finden, diese zu erreichen.

Verschärfte Gesetze

David Lidington (57) von den britischen Konservativen ist Europaminister im Kabinett David Camerons. Die Regierung hat in jüngster Zeit angesichts der wachsenden Popularität der Europa-kritischen UKIP und unter dem Druck extrem- konservativer Torys die Einwanderungsgesetze verschärft. Ziel: Einwanderer, die keinen Job haben, sollen aus dem Land gedrängt werden. Viele Verschärfungen betreffen auch EU-Bürger, vor allem aus den ärmeren osteuropäischen Staaten.