"Referendum aus politischer Feigheit"
Dimitris Droutsas, der ehemalige Außenminister Griechenlands, skizziert im Gespräch mit dem KURIER einen Plan für ein modernes Griechenland. Eindringlich warnt er vor einer Spaltung der Gesellschaft und möglicher Gewalt. Der Politiker der neuen Partei "Die Bewegung – Demokraten und Sozialisten" ist ein scharfer Kritiker von Syriza und der Regierung von Alexis Tsipras.
KURIER: Herr Droutsas, was braucht Griechenland, um die tiefe Krise zu überwinden?
Was muss jetzt nach dem Referendum passieren?
Griechenland muss den Gläubigern rasch die richtigen Signale senden, verlässlich und verantwortungsvoll über den weiteren Weg verhandeln wollen. Anders als bisher müssen die politischen Verantwortlichen seriös aufzeigen, dass Griechenland zu notwendigen Strukturreformen bereit ist. Es stimmt, mehr Einsparungen kann der Bürger nicht mehr ertragen.
Wie stellen Sie sich so einen Plan vor, der von den EU-Partnern akzeptiert wird?
Bis Ende 2015 müsste ein Programm von Experten und erfolgreichen Griechen im Ausland ausgearbeitet sein. Wir brauchen ein neues Gesundheits- und Bildungssystem, eine effiziente Verwaltung sowie ein faires Steuer- und Justizsystem. Wenn Steuern nur erhöht, aber nicht eingetrieben werden, nützt das niemandem. Es muss auch gegen die Medienkonzentration vorgegangen werden. Es braucht Kontrollgremien wie sie in einer Demokratie üblich sind. So eine Reform hätte zur Folge, dass sich der Staat, die politische Mentalität und Kultur ändern.
Ist die Bevölkerung für einschneidende Reformen bereit?
Über einen Reformplan müsste es ein Referendum geben, diesmal ein echtes Referendum über die Zukunft Griechenlands, nicht ein solch missbräuchliches für das politische Überleben von Herrn Tsipras. Es braucht eine breite Unterstützung, um dadurch den Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dafür gäbe es auch die finanzielle Hilfe der EU-Partner. Dann könnte man auch über eine Umschuldung verhandeln. Was wir brauchen ist das Signal nach außen, mit Griechenland geht es aufwärts. Das würde auch die Investitionen fördern. Der Plan ist ambitiös. Aber man muss höhere Ziele setzen, um Teilziele zu erreichen.
Bisher sind Reformen an den Regierungen gescheitert. Wer könnte es anpacken?
Eine unabhängige Expertenregierung, die die Reformen umsetzt und nach vier Jahren nicht zur Neuwahl antritt.
Durch Syriza sind die Menschen noch ärmer geworden. Warum vertrauen ihr noch so viele?
Syriza hat es propagandistisch verstanden, den Unmut aufzunehmen. Tsipras stellt sich als der große patriotische Revoluzzer dar, der die EU-Partner zum Nachgeben zwingt. Im Vergleich zu den Wahlversprechen war sein Verhandlungsergebnis ein Desaster. Vor diesem Hintergrund hat er das Referendum ausgerufen. Das war ein Akt politischer Feigheit, um innenpolitisch zu überleben. Gäbe es die Kapitalkontrollen und die geschlossenen Banken nicht, wäre vielen nicht bewusst, in welcher Lage sie sich befinden. Die Leute wissen nicht, was der Bankrott bedeutet. Die Banken werden geschlossen bleiben.
Tsipras hat versprochen, binnen 48 Stunden nach dem Referendum eine Einigung mit der EU zu erzielen. Ist das möglich?
Das ist eine große Lüge von Herrn Tsipras. Er hat dafür gesorgt, dass das zweite Hilfsprogramm beendet ist. Der letzte Vorschlag der Geldgeber existiert nicht mehr. Der deutsche Bundestag und andere Parlamente müssten einem neuen Verhandlungsmandat zustimmen. Auch das Ergebnis muss von einigen Parlamenten abgesegnet werden.
Das Referendum zeigt, dass die griechische Bevölkerung in zwei Lager gespalten ist. Warum?
Es gibt enorme Emotionen zwischen den beiden Lagern, das kann unkontrollierbar werden. Wir werden noch unschöne Szenen erleben. Es gibt hier eine Tradition mit inneren Disputen, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen blutigen Bürgerkrieg. Tsipras scheut nicht davor zurück, Ressentiments in der Gesellschaft zu schüren und zu polarisieren. Das erachte ich als ein Verbrechen gegenüber der griechischen Bevölkerung. Ich bin in großer Sorge.
Geboren
5. August 1968, Nikosia, Zypern
Ausbildung
Matura am Theresianum in Wien; Jus-Studium an der Uni Wien
Berufliche & politische Karriere
Assistent für Europarecht an der Wirtschaftsuniversität Wien 2009–2011 Außenminister 2011–2014 EU-Abgeordneter 2014 Gründung der sozialdemokratischen Partei "Die Bewegung". Derzeit tätig als internationaler Politik- und Wirtschaftsberater
Privat & Hobbys
Verheiratet; Literatur und Kultur