Giftgas-Tote nach syrischen Angriffen
Von Armin Arbeiter
Reglos, mit weit aufgerissenen Augen liegen Kinderleichen auf Decken gebettet. Helfer bergen weitere leblose Körper aus Häusern und Trümmern. Manche haben Schaum vor ihren Mündern, andere ringen noch mit dem Tod, den das Giftgas Dienstagfrüh brachte. Es sind schockierende Bilder aus der syrischen Stadt Khan Shaykhun, die von Rebellen kontrolliert wird.
In den Morgenstunden bombardierten Kampfjets der syrischen Luftwaffe die Stadt im Süden der Provinz Idlib, wenig später herrschte dort Giftgasalarm. Mindestens 58 Menschen kamen laut Berichten von Aktivisten ums Leben, Hunderte seien in Behandlung. Einige Verwundete wurden zu Krankenhäusern in die Türkei transportiert. Ein Arzt vor Ort sagte, dass es sich beim verwendeten Giftgas womöglich um das tödliche Saringas handelte.
Die syrische Opposition machte den Machthaber Bashar al-Assad für den Angriff verantwortlich, auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sieht "die vorrangige Verantwortung" bei Assad. Dieser habe die Aufgabe, sein Volk zu schützen. Die Quellen, auf die sich Mogherini stützt, stehen jedoch der syrischen Opposition nahe und sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
Damaskus dementiert
Diese Berichte dementiert die syrische Regierung. Der Luftangriff habe zwar stattgefunden, jedoch hätten die Bomben ein Giftgaslager der Rebellen getroffen. Nach einem verheerenden Angriff mit Saringas im Jahr 2013 hatte sich die Assad-Regierung dazu verpflichtet, von der UNO überwacht alle Sarin-Vorräte zu vernichten. Damals waren 1400 Menschen im Osten der Hauptstadt Damaskus am Giftgas gestorben. Auf die Reserven im Gebiet von Idlib hatte die Regierung keinen Zugriff, da die Provinz bereits in den Händen der Rebellen war. Seitdem hatte die Regierung einige Male Giftgas eingesetzt. Dabei handelte sich um Chlorgas, das vom Vernichtungsgebot ausgenommen ist, da es für zivile Zwecke wie zum Beispiel zur Herstellung von Arzneimitteln benötigt wird.
Nichtsdestotrotz verübten syrische Kampfjets ein paar Stunden später einen Angriff auf das Krankenhaus von Khan Shaykhun, in dem ein Großteil der Verletzten zu dieser Zeit behandelt wurde.
Harsche Kritik an der syrischen Regierung kam unter anderem aus Israel und der Türkei. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu schrieb über Twitter: "Die schrecklichen Bilder aus Syrien müssen jeden Menschen erschüttern." Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bezeichnete die mutmaßliche Giftgasattacke als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) ist zutiefst besorgt über den möglichen Giftgasangriff. Experten der OPCW würden zur Zeit alle verfügbaren Informationen sammeln und analysieren, teilte die Organisation am Dienstagnachmittag mit. Sie verurteilte scharf den Einsatz von Chemiewaffen unter allen Umständen. Die Expertengruppe der OPCW wurde 2013 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, da die sie die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen beaufsichtigt hatte.
Die Region um Khan Shaykhun wird derzeit heftig umkämpft – vor Wochen hatten syrische Rebellen im Verbund mit islamistischen Kräften eine Offensive auf die Stadt Hama gestartet, mittlerweile befinden sich die Assad-Truppen mit massiven Artillerieschlägen und russischer Unterstützung im Gegenangriff.