EuGH: Kippt die Vorratsdatenspeicherung?
Von Barbara Wimmer
Es ist der Start in eine Verhandlung, die nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa bedeutend ist: Die Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose Überwachung aller Telefon-, SMS- und E-Mail-Verkehrsdaten, sich mit den Grund- und Menschenrechten vereinbaren lässt oder nicht, bewegt viele EU-Länder. Praktisches (fast) jedes Land hat dazu etwas zu sagen. Deshalb ist auch das Interesse an der Verhandlung riesengroß. Neben den Klägern aus Österreich und Irland werden sich bei der mündlichen Verhandlung auch Vertreter der Länder Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Großbritannien und Portugal zu Wort melden.
11.139 Kläger aus Österreich
Doch Österreich gab neben Irland den Anstoß für das Verfahren. 11.139 Bürger haben sich in Österreich (wie mehrfachberichtet) der Verfassungsklage des AK Vorrat angeschlossen, die eine Verfassungsbeschwerde beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht hat. Auch die Kärntner Landesregierung sowie eine Privatperson aus dem Umfeld eines Telekommunikationsanbieters haben Beschwerden eingebracht. Weil der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) selbst Bedenken hat, dass die EU-Richtlinie über die sogenannte Vorratsdatenspeicherung der EU-Grundrechtecharta widersprechen könnte, legt er diese Frage nun dem EuGH vor. In der Verfassungsbeschwerde der NGO Digital Rights Ireland hat der irische Highcourt ebenfalls ähnlich entschieden. Deshalb sind nun beide Verfahren zeitgleich vor dem EuGH gelandet.
"Die Vorratsdatenspeicherung betrifft fast ausschließlich Personen, die keinen Anlass für die Datenspeicherung gegeben haben. Die Behörden ermitteln ihre Daten und sind über das private Verhalten solcher Personen informiert. Dazu kommt das erhöhte Risiko des Missbrauchs", erklärte der VfGH-Präsident Gerhart Holzinger im Dezember 2012. Der VfGH sei deshalb verpflichtet, den EuGH einzuschalten, wenn Zweifel an der Gültigkeit bzw. Auslegung vorliegen.
Hat die Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen Nutzen?
Nun ist der EuGH am Zug und hat mit einem ungewöhnlich scharfen Fragenkatalog bereits vorab klar gemacht, dass er es wirklich wissen will. Es soll zum Beispiel erörtert werden, wie anhand der gespeicherten Daten Persönlichkeitsprofile erstellt werden können, oder aber wie der Nutzen der Vorratsdatenspeicherung eingeschätzt wird und ob es Statistiken gibt, die darauf schließen lassen, dass sich die Verfolg von schweren Straftaten seit dem Erlass der Richtlinie verbessert hat. Von seiten der EU werden Rat, Parlament, Kommission und der EU-Datenschutzbeauftragte zu Wort kommen.
Die 11.139 Verfassungskläger werden in Luxemburg vom Rechtsanwalt Ewald Scheucher der Kanzlei Scheucher Rechtsanwalt GmbH vertreten. In einer schriftlichen Stellungnahme wird bereits klar gemacht, warum die Vorratsdatenspeicherung aus Sicht der Klägerinnen abgeschafft gehört: "Die Vorratsdatenspeicherung unterminiert nicht nur den Schutz der Privatsphäre völlig, sie bewirkt auch eine nachhaltige Erosion von demokratischen Grundpfeilern wie Meinungs- und Medienfreiheit, dem Schutz von Berufsgeheimnissen und schließlich der Unschuldsvermutung."
"Schafft ein System der Überwachung"
Artikel 8 der Grundrechtscharta garantiert jeder Person das "Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten". Doch bei der Vorratdastenspeicherung handelt es sich um eine verdachtsunabhängige Speicherung, bei der auch Menschen betroffen sind, die mit den Adressaten der Maßnahme lediglich zufällig über Telekommunikationseinrichtungen in Verbindung stehen. "Das schafft ein System der Überwachung zum Schutze der Sicherheit (vorgeblich) der Gesellschaft, tatsächlich aber vorrangig jener des Staates; dieses System könnte die Demokratie bzw. die Rechtsstaatlichkeit, die es schützen soll, aushöhen bzw. umgehen", heißt es weiters in der Stellungnahme. Das sei daher aus grundrechtlicher Sicht nicht zu rechtfertigen.
Vergangenes Jahr wurden im Sommer die Akten mit den 11.139 Beschwerdeführern dem Verfassungsgerichtshof symbolisch in Schubkarren übergeben.
Studie: "Keine höheren Aufklärungsquoten"
Durch die Vorratsdatenspeicherung sei die angstfreie Inanspruchnahme von Grundrechten eingeschränkt, beispielsweise das Aufsuchen von Ärzten, psychologischen Diensten, oder die Kontaktaufnahme zu politischen Parteien oder Religionsgemeinschaften oder "unbequemen" Bürgerinitiativen, um ein paar Beispiele zu nennen. Zitiert wird außerdem eine wissenschaftliche Studie des Max-Planck-Instituts (MPI), die zum Ergebniss gekommen ist, dass nach dem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keine Schutzlücke entstanden sei.
Daraus geht hervor: "Die Vorratsdatenspeicherung führt nachweislich nicht zu höheren Aufklärungsquoten bei schweren Verbrechen." Deshalb sei die Vorratsdatenspeicherung gar nicht dafür geeignet, die vorgeblichen Zwecke zu erreichen. Terroristen würden zudem derzeit bereits so kommunizieren, dass sie von der Speicherung gar nicht erfasst werden, schließlich wurde durch die Umsetzung der Richtlinie medial bekannt, was es für Wege gibt, diese zu umgehen. Auch bei Einzeltätern wäre diese Art der Überwachung sinnlos, da diese bekanntlich ihre Pläne niemandem mitteilen. "Selbst dessen Suche nach Bombenanleitungen wäre mit der Vorratsdatenspeicherung nach aktueller Rechtslage auch nicht erfassbar, da die Speicherung von Inhaltsdaten ausdrücklich ausgeschlossen ist."
"Höchste Zeit, eine rote Linie zu ziehen"
"Wir gehen davon aus, dass die Grundrechte aller Menschen in der Europäischen Union schlussendlich gestärkt aus diesem Verfahren hervorgehen werden", sagt Andreas Krisch, Obmann des AK Vorrat, der ebenfalls in Luxemburg anwesend ist. "In Zeiten der offenbar schrankenlosen Überwachung unserer Kommunikation durch Programme wie PRISM, ist es höchste Zeit eine rote Linie zu ziehen und die Grenzen des Zulässigen klar aufzuzeigen. Das Verfahren wird zeigen, ob der EuGH eine anlasslose Überwachung von 500 Millionen Menschen auf Vorrat als notwendig, verhältnismäßig und mit unseren Grundrechten vereinbar ansieht."
Neben der Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist, muss der EuGH in einem zweiten Anliegen auch darüber entscheiden, welche Rolle die Grundrechtestandards der Europäischen Menschenrechteskonvention (EMRK) bei der Auslegung der EU-Grundrechte spielen. Für Österreich spielt damit auch die Frage nach dem nationalen Schutzstandard eine Rolle, weil die EMRK hierzulande im Verfassungsrang steht. Damit könnte zum Beispiel ein starker nationaler Datenschutz auf dieser Basis die Überwachungsgesetze wie die Vorratsdatenspeicherung aufheben.
Beim AK Vorrat rechnet man damit, dass das Verfahren noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnte. Spätestens dann wird sich zeigen, ob wir künftig mit dem Paradigmenwechsel von einer Politik der Freiheit zu einer Politik der Sicherheit umgehen lernen und die bürgerliche Privatsphäre aufgeben müssen, oder ob dem EuGH unsere Grundrechte genug Wert sind, um sie weiterhin zu schützen.
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