EU-Vorsitz: Kurz übergibt an das gespaltene Rumänien
Von Stefan Schocher
Die Liste der Problem-Themen ist lange: Brexit, EU-interne Uneinigkeit beim Grenzschutz, dem Finanzrahmen oder der prinzipiellen Ausrichtung der EU, fortschreitende Polarisierung der Gesellschaft. Nach Österreich übernimmt mit 1. Jänner Rumänien den EU-Vorsitz.
Ein Land, das die vielfältige Zerrissenheit der EU widerspiegelt.
Am Freitag besuchte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz Bukarest. Der Anlass: die Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft. Kurz traf dabei Präsident Klaus Werner Ioannis sowie Premierministerin Viorica Dancila und besuchte auch das Sozialprojekt Concordia.
Vernichtendes Zeugnis
Dabei war Rumänien zuletzt selbst Gegenstand massiver Kritik aus Brüssel. Fortschrittsberichte seitens der Kommission stellten der Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus.
Reformen in den Bereichen Strafverfolgung und Justiz sowie die Absetzung kritischer Richter und Staatsanwälte, aber auch die Beschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen ernteten scharfe Kritik.
Der Vorwurf: Die von den Sozialdemokraten (PSD) gestellte Regierung Dancilas beschließe maßgeschneiderte Gesetze, um Schattenpremier Liviu Dragnea zu decken. Der PSD-Chef übt wegen rechtskräftiger Verurteilungen kein Regierungsamt aus.
Gewürzt wird all das durch einen bitteren Konflikt zwischen Regierung und Opposition, der sich in der Gesellschaft fortsetzt.
"Unfall der Demokratie"
Zuletzt hatte Staatspräsident Ioannis, der der sozial-liberalen Opposition nahesteht, die Regierung offen und hart kritisiert.
Rumänien, so sagte er, sei auf die Übernahme des Vorsitzes in der Europäischen Union in keiner Weise vorbereitet. Die PSD an der Regierung nannte er im selben Atemzug einen „Unfall der Demokratie“.
In einem gemeinsamen Statement mit Kurz schwächte Ioannis diese Aussage ab. Er sei zuversichtlich, dass Rumänien den Vorsitz auf angemessene Art und Weise umsetzen werde können.
Zugleich stellte sich Kurz klar hinter den Präsidenten, den er als Garant für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Rumänien bezeichnete.
An die Regierung Dancilas richtete der österreichische Bundeskanzler zugleich die indirekte Warnung, dass unlängst angekündigte Steuererhöhungen für Telekom-Unternehmen, Banken und Energie-Unternehmen dem Wirtschaftsstandort Rumänien schwer schaden könnten.
Er mache sich keine Sorgen um ausländische Firmen, die können weiterziehen, er mache sich viel eher Sorgen um rumänische Arbeitsplätze.
Österreich ist einer der größten ausländischen Investoren in dem Land. Auch Ioannis sparte nicht mit Kritik an der rumänischen Regierung.
Proteste
Viel knapper fiel das Statement von Kurz und Dancila aus. Nur so viel sagte Kurz: Bedenken, was Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaftspolitik angehe, seien angesprochen worden.
Tatsächlich scheint die Regierung Dancilas derzeit vor alllem mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Erst am Donnerstag überstand sie ein Misstrauensvotum im Parlament.
Der mit der Vorbereitung des Vorsitzes beauftragte Minister Viktor Negrescu war kürzlich in harschem Streit mit dem Kabinett zurückgetreten.
Auch Rufe wurden laut, Rumäniens Vorsitz zu verschieben. Und: Regelmäßig kommt es in Bukarest zu großen Demonstrationen gegen die PSD-Regierung.
Der Politologe und Berater Alex Coita sieht den kommenden sechs Monaten mit Rumänien an der Spitze der EU dennoch gelassen entgegen.
Zwar habe man unter Umständen als junges EU-Mitglied die „Chance zu glänzen“ vertan; aber die Gefahr, dass innerrumänische Differenzen auf den Ratsvorsitz ausstrahlen, beurteilt er als eher gering. Die geringen Erwartungen an Rumänien seien auch eine Chance.