Politik/Ausland

David Reisenzein: Ein Grenzschützer in der Mitte Europas

Können 10.000 zusätzliche Frontex-Beamte die europäischen Außengrenzen ausreichend vor illegaler Migration schützen? Wie und ob das überhaupt funktionieren könnte – das wissen wahrscheinlich wenige Menschen so gut wie David Reisenzein.

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Wenige Meter von den riesigen Beton- und Glasburgen der Europäischen Kommission und des Rates entfernt sitzt der gebürtige Kärntner in einem unauffälligen, schmalen Bürohaus. Nur zwei Mitarbeiter hat er an seiner Seite. Aber im kleinen Frontex-Büro in Brüssel geht es alles andere als ruhig zu.

Über den österreichischen Juristen und Wirtschaftswissenschaftler laufen wichtige Kommunikationsstränge zwischen der Frontex-Zentrale in Warschau und den EU-Institutionen, die mit dem Thema Grenzschutz und Migration zu tun haben. Das bedeutet für das Mini-Team der „Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache“ ( ) in Brüssel nahezu Arbeit rundum die Uhr. 

Ins heimatliche Berg im Drautal kann der Migrationsexperte deshalb meistens nur zwei Mal im Jahr reisen, erzählt er dem KURIER. „Wenn es ein gutes Jahr ist, dann geht es sich fünf Mal aus.“ 

Doch die „guten Jahre“, also solche, wo in der EU nicht eine Migrationskrise die andere ablöste, liegen für den seit sechs Jahren in Brüssel lebenden Reisenzein schon eine Weile zurück. 

Derzeit richtet sich der Blick der EU-Grenzschützer vor allem nach Spanien: „Hier sind heuer im Vergleich zum Vorjahr um 160 Prozent mehr illegale Migranten angekommen“, sagt Reisenzein. In realen Zahlen sind das über 51.000, überwiegend aus Afrika stammende Menschen, die heuer in Spanien an Land gegangen sind.

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In kontinuierlichen Berichten informiert Frontex die EU-Staaten über die Lage an den EU-Außengrenzen. Wie die Situation in Spanien verbessert werden könnte, versucht Frontex zunächst auf bilateralem und streng vertraulichem Weg zu klären: Mehr Hilfe, mehr unterstützende Beamte entsenden, mehr technische Mittel, Schiffe, Drohnen, Nachtsichtgeräte schicken. 

Weigert sich ein EU-Staat, jene Empfehlungen der EU-Agentur umzusetzen, die aus der jährlichen Schwachstellenbeurteilung hervorgehen, könnten letztlich die anderen EU-Mitglieder entscheiden, die EU-Grenzschützer gegen den Willen des betroffenen Staates loszuschicken. „Aber so weit sind wir noch nie gekommen“, schildert David Reisenzein

Der andere Teil des Jobs des kommunikationsfreudigen Kärntners: Erklären, und zwar von EU-Abgeordneten über NGOs bis hin zu angereisten Schülergruppen, was Frontex macht – und was nicht. „Wir lassen keine Menschen ertrinken“  – wird da der sonst unaufgeregt abwiegende Rechtsexperte plötzlich emotional, als er sich erinnert: „Mir wurde schon einmal vorgeworfen, ich sei ein von der EU sanktionierter Mörder. So etwas vergisst man nicht.“ 

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Im Schnitt versehen jeden Tag bis zu 1.500 durch Frontex entsandte Beamte zusammen mit einheimischen Grenz- und Küstenwachen gemeinsam Dienst. An der türkisch-bulgarischen Landgrenze ebenso wie in Spanien, Italien und Griechenland. Reisen an die Krisenpunkte des EU-Grenzschutzes, besonders an jene auf den griechischen Inseln, stehen für David Reisenzein immer wieder auf dem Programm.

Mehr als 31.4000 Menschen hat Frontex heuer aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Italiens streitbarem Innenminister Salvini geht das gegen den Strich: Er möchte das Mandat der EU-Agentur ändern lassen, so dass gerettete Bootsflüchtlinge nicht mehr in Italien anlanden dürfen.

Seit  nunmehr fünfzehn Jahren steht David Reisenzein mitten in der Migrationsthematik. Von der Diplomatischen Akademie in Wien wechselte der doppelte Magister und Doktor direkt zur Internationalen Organisation für Migration (IOM). „Bis dorthin hatte ich in meinem ganzen Leben mit Migration nichts zu tun“, erinnert er sich. Dafür nimmt sie ihn nun umso mehr in Beschlag. „Dieser Themenbereich wird auch nicht verschwinden“, glaubt er.

In Brüssel, wo die politische Arbeit und die Gesetze geschmiedet werden, wo nach Lösungen gerungen und Allianzen gesucht wird, will Reisenzein deshalb vorerst gerne bleiben.

Wäre da nur nicht dieses Chaos der belgischen Verwaltung, das so manchem, nach klaren Regeln lebenden Mitteleuropäer den Alltag verkompliziert. „An das belgische Schulterzucken habe ich mich noch immer nicht gewohnt“, lacht  David Reisenzein. „C’est la Belgique heißt es dann, und das bedeutet, es geht schon irgendwie.“

Für ihn bedeutet das, aufgrund unerklärlicher administrativer Schwierigkeiten: Einmal im Jahr muss David Reisenzein sein altes Auto in Brüssel neu anmelden. Wieder mit Kennzeichen ausgestattet startet der 40-Jährige dann sofort mit seiner Lebensgefährtin zu Ausflügen in eine seiner nahe liegenden Lieblingsgegenden  –  in die französische Champagne.

In Brüssel treiben indessen die EU-Innenminister die Pläne voran, 10.000 zusätzliche Frontex-Mitarbeiter an die EU-Außengrenzen zu schicken. Anders als zunächst von Bundeskanzler Sebastian Kurz versprochen, wird sich dieses Vorhaben bis Ende 2020 allerdings nicht in die Tat umsetzen lassen.

Tatsächlich könnte es noch bis zu acht Jahre dauern, bis die EU-Staaten 10.000 zusätzliche Beamte eingestellt haben, die dann wiederum bei Bedarf an die EU-Außengrenzen entsendet werden.

„Mit 10.000 Beamten wäre ein flexibles System geschaffen, das allen hilft“, ist Reisenzein überzeugt. 

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Weniger Migration müsse das aber nicht automatisch bedeuten. „Dafür muss man schon noch auch an anderen Stellschrauben drehen: Schnellere Asylverfahren, schnellere Rückkehrverfahren und eine viel höhere Rückkehr-Rate“.

„Und falls irgendwann die Idee aufkommt, die gesamte europäische Außengrenze zu vergemeinschaften“, meint der Grenzschützer abschließend, „dann werden 10.000 Mann nicht reichen.“