Politik/Ausland

Bauboom treibt skurrile Blüten

Das Land der Mitte – und der unbegrenzten Möglichkeiten. Zumindest gilt das für das chinesische Bauwesen. Der Boom im Land sucht nach wie vor seinesgleichen, noch immer nicht ist alles gebaut, was es zu bauen gibt. Die Bauwirtschaft, die Chinas Wachstum zu Höhenflügen antrieb, wird von immer neuen Geldern gespeist, oft aus einem Mangel an alternativen Anlagearten. Laut der globalen Studie „Global Construction 2020“ hat das kommunistische Land die USA als Markt für die Baubranche schon vor einiger Zeit überholt. Und der Sektor dürfte weiterwachsen: Rund ein Fünftel der weltweiten Baubranche soll er am Ende der Dekade ausmachen.

Große Pläne

Wie gigantisch die Vorhaben der Chinesen sind, zeigen Beispiele wie die „New Area“ rund um Lanzhou, Hauptstadt der 26-Millionen-Provinz Gansu. Das Projekt sieht eine neue Megacity samt Industrie-Region vor. Dafür müssen aber erst 700 Berge und Hügel abgetragen werden.

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Das ist kein Hindernis, der Entwicklung soll kein Stein im Weg stehen. Es ist das größte Berg-Versetzungs-Vorhaben der chinesischen Geschichte; 2030 soll es fertig sein und geschätzte drei Milliarden Euro gekostet haben – kein Wunder, ist das Projekt doch Teil eines großen Plans der KP: Lanzhou ist die fünfte Entwicklungszone, über die die Zentralregierung selbst die Hand hält und so höchste Priorität genießt. Die alte Stadt Lanzhou mit ihren 300.000 Einwohnern wird es nicht mehr geben. Sie galt bisher durch Luftverschmutzung als dreckigste Stadt Chinas. Dazu kommt chronische Wasserknappheit, die die Frage aufwirft, wieso Chinas KP gerade in dieser unwirtlichen Welt eine neue Metropole gründen will. Offiziell heißt es: Fortschritt werde nicht durch geografische Hindernisse aufgehalten. Die Zentralregierung hofft, dass Lanzhou wie ein Magnet wirken wird. Investitionszusagen von zehn Milliarden Euro werden kolportiert; bedarfsdeckende Unternehmen wie Wasseraufbereiter stehen Schlange.

Der Bauboom hält die Wirtschaft am Laufen, trotzdem stiegen die Preise für Wohnungen lange Zeit kontinuierlich an. Die Angst vor einer Blase kam auf, der Leerstand wuchs schnell. Monumentale, auf dem Reißbrett entworfene Retortenstädte ohne Einwohner waren Hinweis auf kurzsichtige Planung. Die Beispiele dafür wurden weltberühmt, etwa die New South China Mall: Das eine Milliarde Euro teure Einkaufszentrum nördlich von Hongkong hat 1500 Geschäfte, eine Achterbahn und einen originalgroßen Nachbau des Triumphbogens. Doch niemand zog ein. Ein spektakulärer Flop.

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Ähnlich Kangbashi in der Inneren Mongolei: Nach dem Fund von Kohle und Gas wurde die Stadt umgetauft in Ordos („Schlossanlage“), der Stadtteil New Ordos als Vorzeigeprojekt auserkoren. Acht Spuren Autobahn, Prachtalleen, Hotels und Wolkenkratzer sollten zahlungskräftige Leute anlocken. Doch sie kamen nicht. Investoren zogen nie ein. Um zu verhindern, dass Ordos weiterhin leer bleibt, lässt sich Chinas Führung etwas einfallen: So fand 2012 die Miss-World-Wahl im sonst verwaisten Stadium statt.

Verlierer des Booms

Der Bauboom Chinas kommt nicht ohne Opfer aus. Immer wieder wollen Alteingesessene dem schönen neuen Fortschritt nicht weichen: Die Bilder vom Haus des Ehepaars Luo Baogen und Shen Yucai lösten im November Bestürzung aus (siehe Bild links). Das Paar wollte der neuen Autobahn nicht Platz machen, also wurde die Straße in Wenling im Osten Chinas um das Haus herum gebaut. So lange, bis Besitzer Luo entnervt aufgab. Tage später lag das Haus in Schutt und Asche.

Ein Schicksal, das früher oder später auch dem Friedhof in Taiyuan blüht: Bisher behindert nur mehr ein letztes Grab den Bau von Luxuswohnungen. Dass die Besitzer sich weigern, das Grab zu verlegen, hielt die Behörden nicht davon ab, den Bau zu starten (Bild unten).

Die KP, die nichts mehr fürchtet als soziale Unruhe, fing an, die steigenden Preisen am Häusermarkt zu bekämpfen. Sie verteuerte Hypotheken und schränkte den Kauf von Zweitwohnungen ein. Mit Erfolg, die Preise sind zurzeit konstant. Um jede Instabilität im Land mit dem größten Wohlstandsgefälle der Erde zu verhindern, will die KP die Preise weiter drücken. Manche Bauträger gehen zwar bankrott, die Käufer freut’s aber.

Gibt es in China die befürchtete Immobilienblase?
Oskar Andesner: Eine solche Blase kann ja in China nicht stattfinden, der Staat unterbindet das. In Chinas Provinzen draußen gibt es einen Wachstumswettbewerb, da will man so viel wie möglich bauen, und dann bleiben Wohnungen leer. Aber viele kaufen sich Immobilien als Anlage. Manche glauben, dass der Wert mit der Zeit steigt. China kann man mit den USA nicht vergleichen. Hier gibt es zwar auch Marktwirtschaft, aber der Staat greift ein.

Steigen die Immobilienpreise im Moment?

Derzeit sind die Preise stabil. Weder ich noch meine Mitarbeiter haben Steigerungen bei den Mieten erfahren. Beim Immobilienkauf muss man sich die Lage anschauen. In Peking kann man sicher auch bis zu 8000 oder 9000 Euro pro Quadratmeter zahlen.

Wie handelt die Regierung?

Die Nachfrage ist da, aber viele warten, ob die Preise noch fallen. Es gibt viele mögliche Käufer, die die leeren Wohnungen durchaus füllen könnten. Aber man will die Nachfrage gar nicht befriedigen. Die Regierung lässt weiterbauen, weil sie auch profitiert: Sie vergibt etwa die Rechte für Baugrund und erhält 30 bis 40 Prozent. Das ist eine Einnahmequelle.

Wieso stößt die Regierung Riesenprojekte wie in Lanzhou an?

Diese sind Teil des Fünf-Jahres-Plans und genießen erste Priorität vom Staat. Sie werden bei allem von der Zentralregierung bevorzugt. Für China ist das ein Teil der „Go-west“-Initiative, um auch den Westen zu entwickeln. Zwei Drittel des Landes sind ja entwicklungstechnisch weit hinten nach im Vergleich zu den Küstengebieten.

Wird Lanzhou auch als Geisterstadt enden?

Man versucht hier eben auch, Leute anzuziehen. Hier sind vor allem frühere Wanderarbeiter, die an die Küsten gependelt sind. Die bleiben jetzt einfach dort. Das zieht wieder ein anderes Problem nach: Die Wanderarbeiter fehlen in Südchina.

Wie kann es geschehen, dass in New Ordos kaum jemand lebt?

Dort hofft man ja noch auf den Erfolg. Man will die Autoindustrie holen, VW etwa. Früher oder später kommen die Leute und es wird voll. In China muss jeder Raum genutzt werden. Die Chinesen planen eben anders. Vorkommnisse wie das leere New Ordos passieren, weil man ein bisschen kurzsichtig denkt, trotz aller Planungskultur. Aber alle Projekte, die ich in meinen fünf Jahren in China beobachtet habe, alle Technologieparks, die zuerst leer waren, haben sich mit der Zeit gefüllt.

Es kommt immer vor, dass Leute Widerstand leisten, etwa das Ehepaar in Wenling. Ist das die Folge des Booms?

Es gibt eben immer wieder solche Leute. Die Menschen bekommen ja Entschädigungen angeboten. In China steht aber die Gesamteinheit vor dem Einzelnen. Und die Mehrheit ist offen für Erneuerung und Verbesserung. Aber Ausnahmen gibt es immer.