Zu teuer für den Brexit-Tag: Big Ben bleibt stumm
Von Konrad Kramar
Fast 300.000 Euro für Großbritanniens Kriegsveteranen. Was sich wie eine wirklich großherzige Spende anhört, ist in Wahrheit das etwas bescheidene Ende einer großangelegten Sammelaktion, die sogar politisch für einigen Aufruhr sorgte. "Bung a bob for a Big Ben bong", auf Deutsch etwa "Schmeiß einen Euro rein für ein Läuten von Big Ben" war eine Aktion, die ein paar hartgesottene Brexit-Anhänger zum Jahreswechsel ins Leben gerufen hatten. "Stand up 4 Brexit" nannte sich die Gruppe, die eines mit allen Mitteln möglich machen wollte: Big Ben sollte zum Abschied Großbritanniens aus der EU - morgen Freitag um Mitternacht - läuten.
Nur Countdown in Downing Street
Dazu aber kommt es jetzt nicht, die britischste aller Glocken bleibt Freitagnacht stumm. Stattdessen wird ein Countdown auf die Außenmauer des Regierungssitzes in Downing Street Nr. 10 projiziert. Alle Ministerien und Regierungsgebäude im Regierungsviertel Whitehall werden mit dem Union Jack beflaggt und außerdem hell erleuchtet sein. Premierminister Boris Johnson wird am Abend eine TV-Ansprache geben. Es gibt eine eigens geprägte 50-Pence-Sondermünze zur Feier des EU-Abschieds.
Politisch wäre das alles kein Problem gewesen. Schließlich hat sich ja Boris Johnson zum Schutzherrn des Brexit stilisiert. Technisch allerdings hakt die Sache. Big Ben wird – wie das gesamte Parlament – derzeit renoviert. Ein Abschluss dieser Arbeiten wird frühestens in zwei Jahren erwartet.
Brexit-Fanatiker als Großspender
Die Glocke während der Bauarbeiten zu reaktivieren, würde Kosten von 500.000 britischen Pfund verursachen. Also richtete die Gruppe konservativer Abgeordneter eine Spendenplattform ein. Dank großzügiger Spender, wie etwa dem Brexit-fanatischen Unternehmer Aron Banks, der gleich einmal 50.000 Pfund in den Topf warf, brachte man im Handumdrehen mehr als 250.000 Pfund zusammen. Dann aber ging der Spendeneifer stark zurück, sodass man zuletzt nur bei etwa 270.000 Pfund landete. Zuwenig um Big Ben zum Läuten zu bringen. Also beschloss man, das Geld in einer patriotischen Geste für die Kriegsveteranen zu spenden. Zugleich aber provozierte man – ebenfalls im Handumdrehen – eine wütende Debatte. Da würden sich ein paar wohlhabende Anti-Europäer ihre Brexit-Party mit teuren Glockentönen schmücken, und die Regierung unterstütze das auch noch, meinte die Opposition.
Zerrissen und kopflos
Der Premier musste sich umgehend von der Spendensammlung, die er zuvor beworben hatte, distanzieren. Auch das Unterhaus musste sich von jeder Beteiligung an der Aktion distanzieren. Tagelang hing die Sache trotzdem in der Luft. Bis nun klar wurde: Big Ben wird nicht läuten. Für die beiden ohnehin zutiefst verfeindeten politischen Lager – Pro-Europäer und Brexiteers – wieder einmal ein Grund, um unversöhnlich zu bleiben.
Pointe für EU-Feind Farage
Eine böse Pointe lieferte die Aktion aber auf jeden Fall Schandmaul Nigel Farage. Der wütende Anti-Europäer und einstige Anführer der Kampagne für den Brexit warnte seine Landsleute vor einer Blamage: "Ich kann sehen, wie wir auf der ganzen Welt verspottet werden. Großbritannien verlässt die EU und schafft es nicht einmal, eine Glocke zu läuten."