Berlin: Die nächste Qual der Wahl
Von Evelyn Peternel
Aus dem Gastgarten ertönt lautes Lachen. "Wen wollt ihr denn damit erreichen?", fragt eine junge Frau, ein anderer sagt: "Ist das Satire?"
Auf der Straße fährt ein Auto mit einer mobilen Plakatwand vorbei, darauf zu sehen: ein junger Mann mit Mütze und Bart. "Mein marokkanischer Dealer kriegt sein Leben komplett vom Staat finanziert. Deshalb wähle ich die Alternative", steht neben ihm. Die Wahlwerbung der AfD für die Landtagswahl am 18. September kommt nicht überall an im coolen und weltoffenen Berlin, vor allem nicht hier im Prenzlauer Berg.
Menetekel für Merkel
In anderen Bezirken hat die Werbung deutlich mehr Erfolg. 15 Prozent, so sagt die jüngste Umfrage, könnte die AfD auch in der deutschen Hauptstadt holen – und das ist etwas, womit Demoskopen lange nicht gerechnet haben: Die AfD wildert im Plattenbau im Osten ebenso wie bei den frustrierte Konservativen im alten Westen; den beiden regierenden Parteien, SPD und CDU, wird deshalb das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte prognostiziert. 21 Prozent für SPD-Bürgermeister Michael Müller, gar nur 19 für die CDU, lauten die düsteren Aussichten. Nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Rechtspopulisten ja vor CDU landeten, sorgt das auch im Kanzleramt für Unruhe: Der Urnengang gilt als Menetekel für Angela Merkel, man sieht eine Schicksalswahl heraufdräuen.
Wie konnte das passieren? Berlin, die geteilte Stadt, hochpolitisch wie kaum eine andere und vor allem von linker Seite geprägt, wandelt sich zur nächsten Hochburg der Rechtspopulisten? Für Georg Pazderski ist das nur logisch. "Der Staat hat hier sein Gewaltmonopol aufgegeben, das erinnert mich an New York in den 1980er", sagt der AfD-Spitzenkandidat zum KURIER. "Da konnte man auch nicht über den Times Square gehen, ohne von Dealern belästigt zu werden." Sodom und Gomorrha herrschen hier, könnte man meinen.
Politik, nein danke
Auf ihm lastet nicht nur der Fluch der Farblosigkeit, sondern auch das Erbe seines Vorgängers Klaus Wowereit. Sinnbild dafür ist der Flughafen, der 2012 hätte eröffnet werden sollen und dessen Start schon wieder verschoben wurde; er ist nur eines von vielen Beispielen, was in der Stadt alles schief geht. Der Ruf, dass Müller und sein CDU-Kollege nichts in den Griff bekommen, ereilt ihn auch hier: "CDU und SPD sind nicht mehr wählbar. Und unterscheiden kann man sie auch nicht mehr", sagt ein älterer Herr. 40 Prozent Nichtwähler machten das schon bei der letzten Wahl 2011 deutlich.
Rechtsruck
Erfolg hat sie, weil sie sich in Berlin nicht ganz so reißerisch gibt wie anderswo. Pazderski, ein ehemaliger Bundeswehr-Offizier mit kantigem Haarschnitt,setzt deshalb in der wohl buntesten Stadt Deutschlands eben auf sehr spezielle Werbung. Da wird der kiffende Hipster, der seine Drogen lieber nicht vom Hartz-IV-Empfänger kauft, ebenso plakatiert wie ein homosexuelles Paar, das sich vor Migranten fürchtet. Zudem wirbt man um jene, die bisher kaum erreicht wurden: Nicht umsonst hat die AfD Wahlwerbung auf russisch drucken lassen – für die Russlanddeutschen, die bisher als politikfern galten.
Dass er damit im liberalen Prenzlauer Berg, im linken Kreuzberg oder migrantischen Neukölln nicht ankommt, kann Pazderski egal sein. Er zählt auf jene, deren Frust groß genug ist, um den Großparteien Adieu zu sagen. "Wer hat denn Hartz IV erfunden?", ruft ein Wähler dem SPD-Bürgermeister zu, als der mit Blumen für sich wirbt. "Ich wähle diesmal AfD", sagt er, "aus Protest." Die Rose lehnt er ab. Sie sieht ohnehin schon etwas verwelkt aus.
Wer mit welchem Ergebnis rechnen kann
Laut einer ARD-Umfrage kann die SPD unter Bürgermeister Michael Müller am 18. September wieder stärkste Partei werden, aber mit herben Verlusten. Mit 21 Prozent (2011: 28,3%) wäre es das schlechteste Ergebnis im Nachkriegs-Berlin. Die CDU, die mit der SPD die Hauptstadt regiert, käme auf 19 Prozent (2011: 23,3 Prozent). Die Grünen erreichten 16 Prozent (2011: 17,6 Prozent). Die Linke erhält laut Umfrage 15 Prozent (2011: 11,7) – genau so viel wie die AfD, die erstmals antritt. Der FDP werden fünf Prozent (2011: 1,8) vorausgesagt.