Politik/Ausland

Attentat auf Salman Rushdie: Autor schwer verletzt

Eigentlich war er gekommen, um  über Meinungs- und Redefreiheit in bewegten Zeiten zu sprechen: Der preisgekrönte Schriftsteller Salman Rushdie ist am Freitag in Chautauqua im US-Bundesstaat New York Opfer einer Messer-Attacke geworden. Der 75-Jährige wurde bei der Vorbereitung zu einem Vortrag in einer bekannten Einrichtung 90 Kilometer südwestlich von Buffalo auf offener Bühne von einem mittlerweile identifizierten Mann attackiert. Dabei erlitt der Autor der "Satanischen Verse", der für diesen Welterfolg 1989 von den Mullahs im Iran mit einer Todes-Fatwa (einem muslimischen Rechtsurteil) belegt wurde, am Hals verletzt.

Der in Schwarz gekleidete Angreifer, dessen Motiv am Freitagabend (Ortszeit) weiterhin unbekannt war, wurde noch von einem im Publikum sitzenden Polizisten überwältigt. Der Mann soll zehn bis 15 Mal auf Rushdie eingeschlagen und eingestochen haben. Fotos zeigten eine Person – offensichtlich Rushdie – am Boden liegend, während vier Männer offenbar versuchen, ihn wiederzubeleben.

Laut Polizei handelt es sich bei dem Angreifer um einen 24-jährigen Amerikaner aus New Jersey. Der Angreifer hatte ersten Erkenntnissen zufolge keine Komplizen. Am Tatort sei auch ein Rucksack sichergestellt worden.

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Der 75-Jährige soll erheblich Blut verloren haben. Er wurde per Helikopter in ein Krankenhaus geflogen und operiert. Seinem Manager zufolge wurde Rushdie an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Er könne nicht sprechen und werde wahrscheinlich ein Auge verlieren, schrieb Andrew Wylie nach Angaben der New York Times. Nervenstränge in seinem Arm seien durchtrennt und seine Leber beschädigt worden. "Die Nachrichten sind nicht gut."

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Zeugin: "Es gab nur einen Angreifer"

Nach Darstellung der Polizei stürmte der junge Mann die Bühne der von Hunderten Menschen besuchten Veranstaltung gegen 11 Uhr örtlicher Zeit (17 Uhr MESZ) und stach auf Rushdie ein. "Mehrere Mitarbeiter der Veranstaltung und Zuschauer stürzten auf den Verdächtigen und brachten ihn zu Boden", sagte ein Sprecher. Ein Polizist habe den 24-Jährigen festgenommen. Unterdessen wurde Rushdie von einem Arzt aus dem Publikum behandelt bis Rettungskräfte eintrafen.

Die New York Times zitierte eine Zeugin: "Es gab nur einen Angreifer. Er war schwarz gekleidet. Er hatte ein loses schwarzes Kleidungsstück an. Er rannte blitzschnell auf ihn zu." Ein Reporter der US-Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, der Angreifer habe 10 bis 15 Mal auf Rushdie eingeschlagen oder gestochen. Der ebenfalls angegriffene Interviewer erlitt nach Polizeiangaben eine Kopfverletzung.

Zur Tötung freigegeben

Rushdie wurde im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay) geboren. Er studierte Geschichte am King's College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch "Mitternachtskinder" ("Midnight's Children"), das 1981 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.

Mit seinem 1988 erschienenen Bestseller "Satanische Verse" zog er sich Zorn und Wut der islamischen Welt zu: Seine darin in Albträumen erzählte Lebensgeschichte Mohammeds bezeichneten viele Muslime als Blasphemie. Das damalige geistliche und politische Oberhaupt im Irans, Ajatollah Ruhollah Khomeini, rief offiziell zur Tötung Rushdies aus. Zuletzt wurde ein Kopfgeld von drei Millionen Dollar auf den Schriftsteller ausgesetzt. Erst Jahre später rückte die Regierung in Teheran von diesem staatsterroristischen Anliegen ab. Rushdies japanischer Übersetzer wurde später tatsächlich getötet.  

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Rushdie selbst hatte die Bedrohung vor gut zehn Jahren mit dem Hinweis heruntergespielt, es gebe kein wirkliches Interesse an der Belohnung. 2012 veröffentlichte er unter dem Titel "Joseph Anton" eine Autobiografie über sein Leben unter der Fatwa. Der Name war das Pseudonym, das Rushdie benutzte, während er neun Jahre "undercover" lebte. Die britische Regierung nahm ihn in eine Schutzprogramm auf; Rushdie wurde rund um die Uhr bewacht.

1992 erhielt er den Österreichischen Staatspreises für europäische Literatur. 2007 wurde er von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen. 2019 gelangte er mit seinem Roman "Quichotte" zum fünften Mal auf die Shortlist des britischen Booker Prize.

Mahner für Freiheit

In seiner Rolle als Autor macht sich Rushdie seit vielen Jahre für freie Meinungsäußerung stark. Religiöser Fanatismus, wie ihn der radikale Islam propagiert, ist ihm ein Gräuel. Rushdie zieht bis heute bei Vorträgen und Lesungen ein großes Publikum an; er gilt als intellektuell herausfordernder Sprecher, der gleichzeitig amüsant zu erzählen weiß.

Zum Zeitpunkt des Anschlags saßen im Saal Hunderte Menschen. Augenzeugen berichteten gegenüber lokalen Medien, dass der Angriff keine 20 Sekunden gedauert habe. Über den Grad der Sicherheitsvorkehrungen gab es ebenfalls vorläufig keine verlässlichen Angaben.

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Weltweite Anteilnahme

Der Angriff auf Rushdie löste binnen weniger Stunde weltweit Anteilnahme und Entsetzen aus. Der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, schrieb auf Twitter: "Dieser Angriff ist schockierend und entsetzlich. Er ist ein Angriff auf die Rede- und Gedankenfreiheit, die zwei Grundwerte unseres Landes und der Chautauqua-Institution sind." Die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul erklärte: "Unsere Gedanken sind nach diesem schrecklichen Ereignis bei Salman und seinen Lieben. Ich habe die Staatspolizei angewiesen, bei den Ermittlungen weiter zu helfen, wenn dies erforderlich ist."

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Die USA und die Welt seien Zeugen eines "verwerflichen Angriffs" geworden, erklärte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am späten Freitagabend (Ortszeit). "Diese Gewalttat ist entsetzlich." Die gesamte US-Regierung bete für eine schnelle Genesung des 75-Jährigen. Sullivan dankte außerdem den Bürgern und Einsatzkräften, die Rushdie "nach dem Angriff so schnell geholfen" hätten.

"In keinem Fall ist Gewalt eine Antwort auf Worte, die von anderen in Ausübung ihrer Meinungs- und Ausdrucksfreiheit gesprochen oder geschrieben wurden", teilte Guterres' Sprecher Stephane Dujarric am Freitagabend (Ortszeit) mit. Der UN-Generalsekretär wünsche Rushdie baldige Genesung.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief bestürzt: "Hass und Gewalt dürfen keinen Platz in unserer freien Gesellschaft haben", schrieb das Staatsoberhaupt Samstagnachmittag auf Twitter. Van der Bellen wünsche dem "großartigen Menschen und Autor" und seiner Familie viel Kraft.

"Tausend Bravos"

In iranischen Medien ist der Messerangriff hingegen begrüßt worden. In der regierungsnahen Zeitung Kayhan, deren Chefredakteur vom weltlichen und geistlichen Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, ernannt wird, hieß es am Samstag: "Tausend Bravos (...) für die mutige und pflichtbewusste Person, die den abtrünnigen und bösen Salman Rushdie in New York angegriffen hat". Weiter hieß es: "Die Hand des Mannes, der dem Feind Gottes den Hals umgedreht hat, muss geküsst werden."

Die Schlagzeile der Hardliner-Zeitung Vatan Emrooz lautete: "Messer im Nacken von Salman Rushdie". Die Zeitung Khorasan brachte die Schlagzeile: "Satan auf dem Weg zur Hölle". Die Nachrichtenseite Asr Iran veröffentlichte ein Zitat von Khamenei, in dem es heißt, der vom ehemaligen iranischen Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini abgeschossene "Pfeil" werde eines Tages das Ziel treffen. Von der Führung in Teheran lag noch keine Stellungnahme vor.