Angriffe auf Öl-Infrastruktur schaden IS – brechen ihn aber nicht
Mindestens 400 Öltanklaster des "Islamischen Staates" (IS) sind in den vergangen sieben Tagen in die Luft geflogen. Wovor die US-Luftwaffe bis vor den Terroranschlägen in Paris zurückschreckte – nämlich die Lkw aus Sorge vor zivilen Opfern zu bombardieren – ist nun kein Tabu mehr. Im Tiefflug donnern die amerikanischen Kampfflugzeuge über die Richtung Türkei rollenden Kolonnen, meist im Osten Syriens, hinweg und werfen Flugblätter ab: Warnungen an die Fahrer, sofort die Fahrzeuge zu verlassen. Wenig später fallen die Bomben.
Das Ziel dieser massiv verstärkten Luftangriffe: Eine der wichtigsten Einnahmequellen des IS soll trockengelegt werden – sein florierendes Ölgeschäft. An die 50 Millionen Dollar pro Monat scheffelt der IS aus dem Verkauf des schwarzen Goldes. Wobei die Terrormiliz überhaupt keine Probleme hat, das Öl aus den erbeuteten Ölförderanlagen in Syrien und im Irak auch an ihre Todfeinde zu verkaufen. "Dem IS ist es egal, an wen sie das Öl verkaufen. Und dem syrischen Regime ist es egal, vom wem sie das Öl kaufen", schildert Bente Scheller, Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, dem KURIER. Denn Einnahmen und Öl brauchen alle Seiten – für ihre Fahrzeuge, ihr Kriegsgerät, ihre Generatoren, ihre Wirtschaft und die Versorgung von Millionen Menschen. Zwischen 20.000 und 30.000 Barrel Öl lässt der IS pro Tag aus seinen erbeuteten Ölfeldern pumpen.
Empfindlicher Nerv
Genau auf diesen empfindlichen Nerv des "Islamischen Staates" aber zielt die internationale Anti-IS-Koalition nun ab. US-Kampfflugzeuge nehmen die Öl-Lkw ins Visier, während französische und russische Luftangriffe vor allem den Ölförderanlagen und Lagerstätten des IS gelten.
Doch dass dem "Islamischen Staat", in dessen Einflussbereich rund acht Millionen Menschen leben, auf diese Weise das finanzielle Rückgrat gebrochen werden kann, bezweifelt Nahost-Expertin Bente Scheller: "Es gibt keine Verkaufszahlen oder Abnahmezahlen der Ölgeschäfte des IS", sagt Scheller. Deshalb sei auch unmöglich abzuschätzen, welchen Anteil der Ölsektor am "Budget" des "Islamischen Staates" habe. "Diese Luftangriffe werden dem IS auf jeden Fall schaden. Aber mit dem Abschneiden einer, obgleich großen, Finanzquelle ist es nicht getan. Der IS verfügt über diverse Einnahmequellen."
Schutzgeld, Erpressung
Eine der wichtigsten: "Die lokale Bevölkerung auszupressen", sagt Scheller, die den IS seit Jahren beobachtet und analysiert. Da werden sowohl Steuern eingehoben als auch Schutzgelder und Wegzölle erpresst, Konten von Geflohenen oder Getöteten konfisziert, Besitztümer enteignet und der Weizenhandel kontrolliert. Millionen macht der IS aber auch mit der Erpressung von Lösegeld, dem Verkauf von antiken Kunstschätzen sowie Menschenhandel.
Dieser Finanzkreislauf lässt sich von außen schwer unterbrechen – es sei denn, dem IS gehen Gebiete und Städte verloren, aus denen Geld herausgequetscht werden kann.
Dass die Terroranschläge in Paris, die vom IS durchgeführt wurden, auch vom "Islamischen Staat" finanziert wurden, gilt hingegen als eher unwahrscheinlich. "Für die Anschläge in Frankreich ist nicht viel Geld geflossen", schildert Bente Scheller. Waffen vom Schwarzmarkt, selbst gebastelte Sprengstoffwesten und ein paar Mietautos – all das lässt sich für Terrorzellen in Europa, vor allem für Kämpfer mit kleinkriminellem Hintergrund, leicht auch ohne Zuwendungen aus Syrien organisieren.
Auf Spuren verdächtiger Geldflüsse zwischen US-Gebieten in Syrien oder im Irak bis in europäische Großstädte sind Ermittler jedenfalls bisher noch nicht gestoßen.