Tage in Todesangst, Hinrichtungen, Flucht in die Wüste: Überlebende des Geiseldramas in Algerien schildern, wie sie freikamen.
Der Alarm ging los, als Liviu Floria seinen Kaffee kochte. Der rumänische Arbeiter auf dem Gasfeld im algerischen In Amenas rechnete mit einem Unfall. Doch als er aus dem Fenster blickte, sah er vier schwer bewaffnete Männer aus einem Jeep stürmen und auf die Wachen am Eingangstor schießen. „Von einer Sekunde zur nächsten hat sich mein Arbeitsplatz zu einem Friedhof verwandelt“, schilderte der schockierte 45-Jährige später dem rumänischen TV die schlimmsten Tage seines Lebens.
Gemeinsam mit einem Kollegen schnappte sich Floria ein paar Wasserflaschen und Kekse, verbarrikadierte sich in einem Büro und wartete – 24 unendlich lange Stunden, durchbrochen nur vom Lärm des Gewehrfeuers und mehrerer Explosionen draußen.
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Joseph Balmaceda hingegen war den islamischen Geiselnehmern sofort in die Hände gefallen. Die Terroristen trieben den Philippino zu einer Gruppe ausländischer Geiseln, ließen sie stundenlang mit gefesselten Händen am Boden kauern und zwangen sie schließlich am zweiten Tag des
Geiseldramas in Firmenautos. „Einem Japaner haben sie Sprengstoff um den Hals gehängt“, erzählt der einzige Überlebende des Fahrzeuges. Neun Geiseln und zwei
Islamisten flogen in die Luft, als die angreifende algerische Armee offenbar den mit Bomben bestückten Bus zur Explosion brachte. „Nur vom hintersten Teil des
Autos ist was übrig geblieben“, schildert der verletzte Phillippino. „Ich habe nur überlebt, weil ich zwischen zwei Reservereifen eingequetscht war.“ Blutend kroch
Balmaceda durch den Sand, unter Dauerbeschuss anderer
Islamisten. Nach 300 Metern erreichte er die algerischen Soldaten.
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Viele ausländische Geiseln waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Anderen war es auf dem weitläufigen Firmengelände gelungen, darunter auch dem einzigen Österreicher, sich versteckt zu halten. In den Wohnräumen, unter Tischen, zwischen Betten, in Kästen, unter Autowracks. Auch die französische Krankenschwester Murielle zitterte in ihrem Versteck im Wohnquartier um ihr Leben: „Ich sagte mir, sie dürfen mich auf keinen Fall finden – als Frau und Französin.“ Der Zusammenhang zwischen dem Angriff und der französischen Militäraktion in Mali war ihr vom ersten Moment an klar. „Bestenfalls würde ich eine Kugel in den Kopf bekommen. Schlimmstenfalls, als Frau...“ Murielle versteckte sich mit drei Kollegen und versuchte sie zu überreden, zu fliehen. Sie zögerten. Erst als die Geiselnehmer über die Lautsprecheranlage verkündeten, die Anlage in die Luft zu jagen, waren die drei überzeugt. Sie gelangten mit Bolzenschneidern durch einen Zaun ins Freie.
Die Geiselnehmer hatten algerische Arbeiter von den Ausländern getrennt: „Muslime haben nichts zu fürchten. Wir suchen Christen, die unsere Brüder in Mali töten.“ Sie kannten sogar die Zimmernummern der Ausländer, berichtete der Algerier Riad. Er sah, wie Japanische Arbeiter verfolgt und getötet wurden. „Sie wurden brutal exekutiert“, erzählt Riads Kollege Brahim. Ein Japaner konnte sich kurz in seinem Zimmer verstecken, dann schossen die Geiselnehmer das Schloss von der Tür. Sie zogen ihn aus dem Zimmer und legten ihm Handschellen an. Andere wurden an den Armen mit Plastikbändern verbunden. Sie mussten sich aufstellen, schildert der Japaner. Plötzlich Schüsse. Neben ihm fallen zwei Männer tot zu Boden. „Ich stellte mich darauf ein zu sterben.“ Wie viele andere Befreite ist auch er voll des Lobes für ihre algerischen Kollegen. Obwohl die verschont wurden, begaben sich viele in Gefahr, um ihren Kollegen zu helfen.
Massengeiselnahme: 37 ausländische Geiseln tot
Fast 800 Menschen waren in der Gasförderanlage von In Amenas im Südosten Algeriens beschäftigt, als die 32 islamistischen Terroristen am 16. Jänner zuschlugen. Von den 132 ausländischen Geiseln – darunter auch der Niederösterreicher Christoph Z. (36) – konnte die Mehrheit fliehen oder von der algerischen Armee befreit werden. 37 kamen ums Leben, fünf von ihnen werden noch immer vermisst.