Ägypten: Staatskollaps befürchtet
Das ägyptische Militär hat wegen der anhaltenden Krise und der Krawalle vor einen Zusammenbruch des Staates gewarnt. Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen seien eine echte Bedrohung für die Sicherheit und den Zusammenhalt des Staates, teilte der Verteidigungsminister und Armeechef, General Abdel Fattah al-Sisi, am Dienstag auf der offiziellen Facebook-Seite des Militärsprechers mit.
Al-Sisi sagte, die Stationierung von Soldaten in den Suez-Städten diene dem Schutz des Kanals, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet und einer der wichtigsten Schifffahrtswege der Welt ist. "Der anhaltende Streit zwischen den verschiedenen politischen Kräften über den Umgang mit der Krise könnte zu einem Zusammenbruch des Staates führen", mahnte Al-Sisi.
Proteste dauern trotz Ausgangssperre an
In der Nacht zu Dienstag wurden bei Krawallen in Port Said wiederum mindestens zwei Menschen getötet. "Nieder, nieder mit Mohamed Mursi", skandierte die Menge in Ismailia. "Nieder mit dem Ausnahmezustand!" In der Hauptstadt Kairo zündeten Demonstranten Autos an. Anders als in den vergangenen Tagen blieb es jedoch am Dienstagmorgen zunächst ruhig.
Militär mit Polizeibefugnissen
Das von den Islamisten dominierte Oberhaus, die Shura, nimmt derzeit die Rolle des Parlaments ein, das im Sommer aufgelöst worden war. Ägyptens islamistischer Präsident Mohammed Mursi hatte am Sonntagabend nach tödlichen Krawallen bereits für drei Städte am Suezkanal den Ausnahmezustand angeordnet.
Die Opposition wirft Mursi und den Islamisten vor, die Revolution verraten zu haben, in deren Zuge der jahrzehntelang regierende Präsident Hosni Mubarak gestürzt wurde.
Keine Reisewarnung
Eine Reisewarnung gibt es nicht. Für Kairo, Port Said, Suez und Ismailia gelte aber ein „hohes Sicherheitsrisiko“, teilte das Außenamt in Wien mit. Ausländer sollen Menschenansammlungen ausweichen. Für die Touristengebiete am Roten Meer herrsche keine besondere Gefährdung. Außenminister Michael Spindelegger nannte die Lage „besorgniserregend“. Sie mache deutlich, dass die Bürger mit der Regierungsstruktur nicht einverstanden seien. Eine „falsche Entwicklung“ im „Schlüsselland“ Ägypten könne ernste Folgen haben.
Schwarz angezogen von Kopf bis Fuß. Das Gesicht hinter Skimasken versteckt, schwenken sie schwarze Fahnen. So treten die neuen Akteure der Proteste in Ägypten auf – und machen von sich reden. Sie nennen sich „Schwarzer Block“. Seit Donnerstag, als sich die Gruppierung mit einem Video medienwirksam vorstellte, spricht das ganze Land vom Schwarzen Block.
„Unsere Ideen sind kugelsicher“, heißt es da. Ihre Mission sei es, die regierenden Muslimbrüder herauszufordern. „Wir sind nie zufrieden, bis die Rechte wieder an ihre Besitzer zurückgegeben werden.“ Die Gruppe ist seit dem Wochenende in mehreren ägyptischen Städten präsent. Die Mitglieder sind gewaltbereit und sprechen kaum – vor allem nicht mit Journalisten.
Medien, Regierung und Zivilgesellschaft rätseln, wo die Gruppierung so plötzlich herkommt. Vermutet wird – wegen des Namens – ein anarchistischer Hintergrund. Bei Anti-Globalisierungsprotesten in Europa und den USA trugen gewaltbereite Protestierende denselben Namen. Auch über Finanzierung, Unterstützung und Organisierung rätselt Ägypten.
Der Bekanntheitsgrad der Gruppe schnellte am Wochenende nach oben. Ebenso schnell verbreiteten sich Gerüchte über ihre Zugehörigkeit: Während sie die einen als Militärischen Arm der Nationalen Heilsfront rund um Mohammed ElBaradei und Amr Moussa vermuten, glauben wieder andere, dass die Muslimbrüder den Block gebildet haben, um Chaos und Unsicherheit zu schüren.
Wut und Hunger
Von „Feiern“ zum zweiten Jahrestag der Aufstände gegen Hosni Mubarak ist am fünften Tag der Proteste keine Rede mehr. Frustriert und wütend wegen der politischen und hungrig wegen der wirtschaftlichen Krise sind die Menschen auf den Straßen. Rund 50 Demonstranten sind tot. Und es ging weiter: Steine und Molotowcocktails auf der einen Seite, Tränengas auf der anderen.
Vor allem die Anhänger der Nationalen Heilsfront, dem größten Oppositionsbündnis, gingen am Montag auf die Straße. Ihre Forderungen: Präsident Mursi soll übermäßige Machtbefugnisse abgeben, die Präsidentschaftswahlen sollen vorgezogen und die Verfassung überarbeitet werden, erklärt Oppositionssprecher Ahmed Naguib dem KURIER. „Unsere Forderungen sind nicht neu. Aber jetzt sind sie zu Bedingungen geworden“. Mursi müsse einsehen, dass er ohne Opposition nicht überleben kann, der Druck steige.
Eigentlich hatte Mursi die Opposition für Montag zu Gesprächen eingeladen. Doch er erhielt eine Absage von der Heilsfront. Man wollte nicht „an einem Dialog teilnehmen, der sinnlos ist“, so ElBaradei. Das Problem, nicht die Symptome, solle bekämpft werden, empörte er sich über neue Änderungen im Sicherheitsapparat: Mursi hat den Ausnahmezustand in Port Said, Suez und Ismailia ausgerufen und gibt dem Militär mehr Befugnisse.