Politik/Ausland

Die Revolution in der zweiten Runde

Fünf Armeehubschrauber flogen am Montag hintereinander über die Menschenmassen am und um den Tahrir-Platz in Kairo. An ihnen hingen ägyptische Flaggen. Es wirkte beeindruckend – eine Demonstration der Stärke. Und die Hunderttausenden Menschen unten jubelten ihnen spontan zu.

Inmitten heftiger Proteste, die am Sonntag wieder das Land am Nil erreicht hatten, hat sich jetzt die Armee zu Wort gemeldet. Das Land sei „in Gefahr“ hieß es in einer dramatischen Ansprache im Staatsfernsehen. Die ägyptische Armee wolle eingreifen, sollte nicht innerhalb von 48 Stunden Ruhe einkehren.

„Letzte Chance“

Von einer „letzten Chance“ sprach Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah al-Sisi am Montag. Wenn in der Frist die Forderungen der Menschen in Ägypten nicht erfüllt werden, dann werde die Armee – gemäß ihrer nationalen und historischen Verantwortung – einen „Plan für die Zukunft“ verkünden und „eine Reihe von Maßnahmen“ einleiten. Regieren wolle sie aber nicht. Alle politischen Fraktionen sollen an der Umsetzung der Maßnahmen teilhaben.

Wie der Plan aussieht, weiß allerdings niemand. Dass es höchste Zeit ist, liegt auf der Hand. Seit Sonntag demonstrieren rund 14 Millionen Menschen gegen die Regierung von Präsident Mohammed Mursi, die genau nach einem Jahr bereits deutliche Zerfallserscheinungen aufweist. Fünf Minister legten am Montag ihr Amt nieder: die Ressortleiter für Tourismus, Umwelt, Kommunikation, öffentliche Versorgungsunternehmen und Parlamentsangelegenheiten. In ägyptischen Medien hieß es, der Schritt sei aus Sympathie zu jenen Demonstranten erfolgt, die zu Hunderttausenden seit Sonntag gegen Mursi auf die Straßen gehen.Die verbliebenen Minister trafen sich am Montag zu einer Krisensitzung mit Premier Hescham Kandil.

Das Präsidialamt kritisierte den Schritt des militärs scharf; Anhänger des Präsidenten riefen deshalb zu Massendemonstrationen auf und verurteilen den Schritt des Militärs als versuchten Putsch, wie ein Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Dienstag früh berichtete.

Massenprotest

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Im ganzen Land hatten Demonstranten Amtssitze von Provinzgouverneuren und Distriktregierungen blockiert, in Kairo die Zentrale der Muslimbrüder gestürmt und zum Teil niedergebrannt. Die Bilanz seit Beginn der Proteste: Mindestens 17 Tote und Hunderte Verletzte.

Ägypten befindet sich einmal mehr im Ausnahmezustand. Und zumindest eines haben die Proteste zum ersten Jahrestag der Präsidentschaft Mursis deutlich gemacht: Sein Rückhalt in der Bevölkerung ist begrenzt – vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Und vor allem in Kairo. Ganze Einheiten der Polizei sollen in der Hauptstadt den Einsatz gegen Demonstranten verweigert haben. Vereinzelt sollen Polizisten sogar an Demos teilgenommen haben. Und die Armee, die vor Tagen in großen Städten Panzer positioniert hatte, schritt nicht ein.

Das, was sich seit Sonntag in Ägypten regt, ist der bisher größte Aufstand gegen die regierenden Muslimbrüder, denen Mursi nahesteht. Auf den Straßen gegen sich aufgebracht hat Mursi ein buntes Geflecht verschiedenster Gruppen aus säkularen Nationalisten, Linken, Liberalen, Anarchisten und auch Anhängern jenes Mannes, der Ägypten 30 Jahre lang regiert hat und der durch eine Protestwelle 2011 aus dem Amt gejagt wurde: Hosni Mubarak.

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