Lamborghini: Murcielago & Revuelto - Treffen der Generationen
Von Michael Andrusio
Im zeitgenössischen Fahrbericht im Motor-KURIER war über den neuen Murcielago von Lamborghini folgendes zu lesen: "Einmal angeworfen und in den Alltagsverkehr eingegliedert, überrascht der Murcielago mit toller Handlichkeit. Obwohl von den Dimensionen her praktisch ident mit dem Diablo, gibt er dem Piloten nie das Gefühl, ein breites und langes Monster von Auto zu bewegen.“
Das war im November 2001 und der Murcielago war mit großem Interesse erwartet worden. War der Supersportwagen der erste Lambo, der unter Audi-Regie entstanden war. Die Marke mit den vier Ringen hatte die mit dem Stier 1998 übernommen.
23 Jahre später sitzen wir in einem Murcielago und sind auf den Straßen rund ums Werk bei Sant’Agata Bolognese unterwegs. Man steigt in den Überdrüber-Lambo über nach oben aufschwingende Türen ein – das war bei den Italienern so seit Countach-Tagen und ist bei heute so geblieben – und fällt in den Fahrersitz. Erster Eindruck: der Fahrersitz drückt dort, wo man es eigentlich nicht haben will, nämlich vor allem im Lendenwirbelbereich. Kein Vergleich mit dem aktuellen Revuelto, aber von dem später mehr.
Der Zwölfzylinder-Motor erwacht mit einem Ehrfurcht gebietenden Grollen. Wir fahren den LP640, das ist eine überarbeitete Version, für die der Hubraum auf 6,5 Liter erhöht wurde und die Leistung stieg auf 640 PS (das sind 60 PS mehr als im ursprünglichen Murcielago). Ein Zug an der Schaltwippe und man kann schon losfahren. Wahlweise konnte man den Lambo mit Kulissenschaltung oder mit halbautomatischer Schaltung mit Paddels am Lenkrad bekommen – wir fahren die zweitere Version.
Im Display zeigt ein großes N oder eine Zahl an, wo man gerade ist. Die Zeiten für die Schaltwechsel muten heutzutage träge an, aber damals war das Stand der Dinge. Und der Lambo ist tatsächlich relativ problemlos zu bewegen. Allradantrieb und Anti-Schlupfregelung sorgen dafür, dass die Kraft manierlich auf die Straße gebracht wird. Aber wir wollen dem 18 Jahre alten Auto aus der Lamborghini-Sammlung nicht zuviel zumuten.
Was fällt uns sonst auf (neben den merkwürdigen Sitzen)? Ein Lenkrad, das tatsächlich noch kreisrund sein durfte und mit sich der Murcielago fein dirigieren lässt. Und ein kleiner Bildschirm ist ein Vorbote dessen, was da in Sachen Infotainment noch kommen sollte.
Revuelto
Wir steigen um in den Nach-Nachfolger des Murcielago. Der heißt Revuelto und ist der erste Hybrid-Supersportwagen von Lamborghini. Beim Einsteigen heißt es immer noch Flügeltüren öffnen und in den Sitz plumpsen – manche Dinge ändern sich eben nie – und dann schließt einen ein toller Schalensitz ein. Tolle Seitenführung, aber durchaus bequem und langstreckentauglich. Der Bildschirm in der Mitte ist größer geworden, schmiegt sich aber elegant in die Mittelkonsole und ist nicht diese Art Tablet, das anderswo verbaut wird. Auch die Anzeigen für den Fahrer sind digital und für den Beifahrer gäbe es auch ein Display (wenn er Dinge wie Tempo, Drehzahl oder sonstiges wirklich wissen will).
Zum Starten muss man zunächst die "Sicherungsklappe" aufklappen und darunter ist der Startknopf. Wo der Murcielago mit einem Grollen erwacht ist, hört man im Revuelto nur ein elektronisches Säuseln und sonst nichts. Der Hybrid-Sportwagen ist daraufhin konditioniert, elektrisch loszufahren. Gut, dass es im Lenkrad einen Drehregler für die Fahrmodi gibt und wenn man aus dem elektrischen Citta in Sport wechselt, erwacht der V12-Zylinder (und zwar so, wie man das akustisch von einem Lamborghini erwartet). So faszinierend und überraschend problemlos es ist, den Revuelto mit seinen insgesamt 1015 PS über eine Bergstraße in den Ausläufern des Apennin zu bewegen, so stimmig wirkt der lautlose elektrische Modus in der Stadt. 13 Kilometer weit kommt man übrigens rein elektrisch. Der entsprechende Auftritt ist einem auch ohne V12-Zylinder-Brüllen gewiss, dafür sorgt schon das exaltierte Design, das Mitja Borkert für den Revuelto ersonnen hat. Und wenn man dann noch an einer Demonstration vorbeirollt und die Demonstranten ihren Groll kurz vergessen und sie gemeinsam mit den bewachenden Carabinieri erfreut lachen, dann ist man sich und der Welt zufrieden.
Nachtrag: Der Murcielago kostete 2001 bei uns 260.000 Euro – viel Geld für die damalige Zeit. Der Revuelto kostet 700.000 Euro und ist schon für die nächsten zwei Jahre ausverkauft.