Meinung/Mein Tag

Der Klang einer Kindheit

Andere wuchsen mit ABBA und Nena auf. Ich hörte zu Hause melancholische Lieder auf Farsi (Persisch). In einem ging es um eine versteinerte Blume, die sich nach Sonne sehnt, um in Farbe zu erblühen.

Ich war zum letzten Mal als junges Mädchen im Iran. Schon auf dem Weg vom Flughafen zu unserem Wohnort wurden wir mit vorgehaltenem Gewehr von Wachleuten aufgehalten, die unser Gepäck durchwühlen wollten. Ich zitterte noch Stunden danach. Wenige Tage später wurde eine Freundin meiner Mutter verhaftet – sie hatte Nagellack auf den Fingern. Ihr Mann konnte sie nach zwei Tagen gegen Kaution aus dem Gefängnis holen. Für Entsetzen sorgte damals schon der Tod einer jungen Frau. Sie hatte eine Telefonzelle genutzt und einem Sittenwächter nicht schnell genug Platz gemacht. Er hat sie erschossen. Damals haben wir beschlossen, dieses Land nicht mehr zu besuchen, solange dieses Regime an der Macht ist. Meine Oma habe ich bis zu ihrem Tod nicht mehr gesehen.

Neulich bei einer Demo für die Freiheit der Iraner fiel mir das Lied mit den versteinerten Blumen ein. So viele haben Grausamkeiten am eigenen Leib erlebt oder jemanden dadurch verloren. In vielen ist durch die aktuellen Proteste die Hoffnung gekeimt, in ihre Heimat zurückkehren und geliebte Menschen wieder in die Arme schließen zu können.

Ich bin in Österreich geboren, ich kenne keine andere Heimat. Und doch brennt mein Herz dafür, das Land meiner Vorfahren in Freiheit zu sehen. Epigenetik nennt sich das, erklärte eine Tochter von Iranern kürzlich im Rahmen einer Rede. Wir haben nie dort gelebt, aber wir spüren die Schmerzen unserer Vorfahren.

Meine Tochter hat ein neues Lieblingslied: „Bella Ciao“, das antifaschistische Protestlied der Partisanen im Zweiten Weltkrieg ist in der persischen Version zu einer Hymne des Widerstands gegen die Mullahs geworden. Sie singt begeistert mit. Meine Tränen sieht sie nicht. Die meiner Eltern habe ich damals auch nicht gesehen.

laila.docekal@kurier.at