Meinung

Land der Opfer

So wie es aussieht, gibt es rund um den Commerzialbank-Skandal im Burgenland ausschließlich Opfer. Gleich zu Beginn hielt zum Beispiel die Wirtschaftsprüfungskanzlei TPA fest, dass man Opfer sei. Und das auch noch „unerwartet“. Die Nationalbank hat inzwischen ebenso erklärt, warum sie komplett unschuldig ist. Und die nunmehr ehemaligen Aufsichtsräte der Bank dürften sich auch als Opfer sehen.

„Wir sind eh immer die Deppen“, ließ ein Aufsichtsrat über seinen Anwalt verlautbaren. Gut möglich also, dass Ex-Commerzialbank-Chef Martin Pucher seine Verteidigungsstrategie als Opfer anlegen wird. Die Zinsen, die ganzen Bankregularien – und überhaupt der ganze Druck.

Es ist immer dasselbe. Zuerst zündeln, und wenn der Laden dann abfackelt, führen sich die Brandstifter als Opfer auf. Helmut Elsner war so ein Opfer. Der Banker führte die Bawag samt damaligem Eigentümer ÖGB beinahe in den Abgrund, sah sich aber von Justiz und Medien verfolgt. Derzeitiges Opfer Nummer 1 dürfte laut eigener Befindlichkeit H.-C. Strache sein. Und ja nicht zu vergessen: Ex-Minister Karl-Heinz Grasser. Er hat sogar Potenzial Richtung Messias-Status, wenn beim derzeit laufenden Prozess nichts rauskommen sollte.

Die Opferrolle trifft aber nicht nur auf Personen zu, deren Karriere vor einem Richter endet. Herr und Frau Österreicher scheinen für die Opferrolle geradezu prädestiniert zu sein. Der große Psychologe Erwin Ringel (1921–1994) hat das unter anderem auf den Untergang der Monarchie zurückgeführt. Deren Ende wurde von den Zeitgenossen ja dunklen Mächten zugeschrieben. Man war also von Anbeginn der Republik Opfer. Das führte zu den Jubelszenen von 1938, wobei die „Jubler“ sieben Jahre später alle Opfer waren. Eines von diesen Opfern, Kurt Waldheim, wurde 1986 Bundespräsident.

Kommt Österreich je aus der Opferrolle raus? Scheint nicht so. Rechte Verschwörungstheoretiker sehen sich als Opfer „linker Gutmenschenfaschisten“. Die linke Hysteria auf Twitter und Co. sieht sich als Opfer schwarzmagischer Machenschaften der Türkisen. Und dann wären da noch die Opfer der Corona-Krise, der Umweltkrise, der Rauchverbotskrise, der Facharbeitermangelkrise, der Registrierkasseneinführungskrise, der Zu-wenig-Digitalisierungskrise, der Zu-viel-Bürokratiekrise und so weiter und so fort.

US-Präsident John F. Kennedy forderte seine Landsleute auf, darüber nachzudenken, was sie für ihr Land tun könnten. Übersetzt heißt das: Denk nach, welches Opfer du für die Gemeinschaft bringen kannst. Das wäre hierzulande politischer Selbstmord. In einem Land, das eines der reichsten der Welt ist, in dem sich aber fast jeder arm und damit per se als Opfer fühlt, lautet die Parole „Hol dir, was dir zusteht“. Das dachten sich wohl auch manche Opfer der Commerzialbank.