Ein runder Tisch muss jetzt her
Von Walter Friedl
Abrüstung, auch verbal, ist dringend nötig – auf beiden Seiten
über die Türkei
In der Türkei läuft momentan alles aus dem Ruder. Schuld daran ist nicht nur der wegen seines autoritären Führungsstils zu Recht kritisierte Premier Erdogan, auch die Protestbewegung trägt Verantwortung dafür.
Zunächst zum Regierungschef: Dieser glaubte in seiner selbstherrlichen und egomanischen Art, das Land wie ein Sultan führen zu können. Zudem ist die völlig überzogene Polizeigewalt, mit der er die Beamten gegen Demonstranten vorgehen lässt, inakzeptabel und einer Demokratie unwürdig. Und dass Erdogan am Sonntag auf dem Taksim-Platz, dem Epizentrum der Proteste, seine Anhänger aufmarschieren ließ, ist eine unnötige Provokation. Umgekehrt war er den Aktivisten, die den benachbarten Gezi-Park besetzt hielten, insofern entgegengekommen, als er einen Baustopp für die dort geplante umstrittene Kaserne angeordnet und ein Referendum in Aussicht gestellt hatte.
Die Demonstranten lehnten ab. Gewiss, es geht ihnen nicht nur mehr um die paar Bäume, die dem Bauwerk zum Opfer fallen sollen, sie fordern den Rücktritt des Premiers. Bloß: Der ist demokratisch gewählt und bewegt sich grosso modo innerhalb des Rechtsstaates. Auch die Besetzung der Hainburger Au endete, nachdem ein Baustopp verfügt worden war.
Abrüsten! Auch verbal
Beide Seiten setzen leider auf Eskalation, was gut an zwei Zitaten abzulesen ist: Eine junge Demonstrantin forderte die Regierung zum „geschlossenen Selbstmord“ auf, der für die EU-Verhandlungen zuständige Minister Egemen Bagis nannte die Protestierenden „Terroristen“.
Abrüstung, auch verbal, ist dringend nötig – auf beiden Seiten. Andernfalls versinkt die Türkei im absoluten Chaos. Dann könnte das zwar von Erdogan in die Kasernen verbannte, aber immer noch mächtige Militär einschreiten. Und das kann in niemandes Interesse sein. Der einzige Ausweg: ein runder Tisch.