Demokratie in Türkei erhält neue Chance
Von Walter Friedl
Die türkische Demokratie erhält eine zweite Chance.
über Erdogans Niederlage
Die Parlamentswahlen vom Sonntag stellen eine tiefe Zäsur in der jüngeren Geschichte der Türkei dar. Erstmals seit ihrer Machtübernahme 2002 wird die AKP einen Partner fürs Regieren brauchen. Für die Demokratie im Land am Bosporus ist das ein guter Tag, für Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die Türkei immer autoritärer führte, ein Desaster. Denn eigentlich der Überparteilichkeit verpflichtet, hatte er sich für "seine" AKP voll ins Zeugen geworfen – er wollte sie um jeden Preis pushen, um sie so weit zu stärken, dass sie per Verfassungsänderung die Befugnisse des Staatsoberhauptes, also seine, massiv ausweitet. Für diese Allmachtsansprüche wurde Erdogan drastisch abgestraft. Wie der Egomane damit umgeht, wird man sehen.
Auf parlamentarischer Ebene sind die Kurden, die diesmal als Liste HDP antraten, der klare Wahlsieger. Woran sie bisher stets gescheitert waren, schafften sie am Sonntag: Sie übersprangen die hohe Zehn-Prozent-Hürde und stießen damit die AKP ins Jammertal – auch wenn diese weiterhin stimmenstärkste Fraktion ist. Die Frage wird sein, ob sie sich auf einen Pakt mit Erdogan einlassen – nach dem Motto: Mündet der Krieg gegen die PKK endlich in einem Friedensabkommen, und bekommen die Kurden endlich mehr Rechte, könnte man ja ins Geschäft kommen. Weitreichende Kompetenzen für den Staatschef in einer etwaigen neuen Verfassung wird es aber nicht spielen. Denn ihr gutes Abschneiden verdankt die HDP auch ihrer Wahlkampfansage: "Wir werden die Diktatur verhindern." Damit punktete sie auch im demokratischen Lager, wo Erdogan verhasst ist.
Fix ist: Der Präsident und seine AKP, die dem Land in den vergangenen 13 Jahren viel Positives gebracht, aber ihm auch stark geschadet haben, sind schwer angeschlagen. Eine neue Ära beginnt jetzt, die türkische Demokratie erhält eine zweite Chance.