Mailüfterl
Die Liebste und ich hatten für den Sonntag einen schönen Plan gehabt. Wir wollten von Stammersdorf aus auf den Bisamberg wandern. Theoretisch, um diese Zeit durch ein Land blühender Akazibäume, milder Brisen und zarter Sonne. Der Weg sollte uns die Stammersdorfer Kellergasse aufwärts und dann ins Grüne führen. Wir wussten aber nicht, dass die Stammersdorfer Kellergasse an jenem Tag etwas anderes im Schilde führte. Die uns überrumpelnde Veranstaltung hieß " Mailüfterl 2012" und stellte so etwas wie eine Schnittmenge aus Kirtag und Weinverkostung dar. Die ja wirklich hinreißende Stammersdorfer Kellergasse hatte man mit allerhand schreiend buntem Tand und mehreren Karaokekünstlern bestückt. Sehr viele zum Genuss entschlossene Menschen aus Wien Nord und dem Weinviertel hatten sich eingestellt. "Si, si, Señorita!", sang der erste Karaokemann uns frohgemut entgegen. Die Brut begehrte intensiv neonfarbenes Gatsch-Eis, aber auch Schiff-Schaukeln, aber auch Wertlosigkeiten vom Standl. Die Armen, sie durften nix, weil, nein, deshalb waren wir ja nicht gekommen. Nein, wir wollten da rauf, und grimmig arbeiteten wir an unserem Ziel.
Einmal kamen wir vom rechten Wege ab und aßen irgendwie verstohlen am Dach eines Weinkellers ausgezeichnete Fleischlaberln mit Schwarzwurzelsalat. Um mich anzupassen, trank ich einen Gspritzten.
Dann zogen wir weiter. Das Mailüfterl wehte unvermindert um uns. Lustige Aufschriften ("Hilft Viagra nimmermehr / muss der Liebeskäse her!") und Hüpfburgen säumten unseren Weg. Endlich dann das Ende der Kellergasse! Der erste blühende Akazibaum! Das Loch im Himmel, wo einst der Bisamberger Sender stand! Aber wir waren verbraucht. Wir sanken auf das erste freie Wieserl. Die heldische Liebste und die Drittgeborene spielten eine Weile Fußball gegen den Zweitgeborenen. Dieser siegte, weil er bergab spielte. Der Erstgeborene und ich lagen derweil leer im Gebüsch herum.
Dann gingen wir einfach wieder runter. Das Mailüfterl begrüßte uns, als wäre nichts gewesen. "Es gibt Millio- nen von Sterrrrnen", sang der letzte Karaokemann. Und auf einem desolaten Keller fand ich eine alte Gravur: "Wir wünschen allen, die uns kennen / das Doppelte, was sie uns gönnen." Das fand ich sehr schön. Das lernte ich auswendig, um es Ihnen hier aufzusagen.
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