Meinung/Kolumnen/Mitte

Herbst und sonst nix

November ist ein Monat von überwältigender Stringenz!

Ernst Molden
über den Hochherbst

Wir reden vom Frühsommer, vom Hochsommer und vom Spätsommer. Wir sagen Frühherbst und Spätherbst. Allein, wo ist der Hochherbst? Niemand spricht von ihm. Aber er ist da. Er steckt im November. Ein Monat, der ganz allein dem Herbst gehört. Spät- und Altweibersommer mögen bis weit in den Oktober wabern, der erste Winter mag früh im Dezember herein­brechen. Aber im November ist Herbst und sonst nix. Ein Monat von überwältigender Stringenz! Ich betrete ihn gern.Diesmal hatte ich den Nino aus Wien bei mir, als der Hochherbst kam. Wir fuhren mit der Bahn nach Innsbruck, wo wir zusammen singen sollten. Den Nino aus Wien werden nicht alle kennen, obwohl dies der Fall sein sollte, weil er ein so guter Liederschreiber und faszinierender Sänger ist. Gerade bringt er sein neues Werk heraus, eine Platte mit dem völlig verrätselten Titel Bulbureal, niemand weiß, was das heißt, nix Besonderes bei Nino, seine letzte Platte hieß Schwunder, da wusste auch niemand, was das heißt. Aber die Lieder! Der Nino stellt in jedem kleinen Vierzeiler den Sinn, wie wir ihn kennen, auf den Kopf, aber wenn alle Vierzeiler des Liedes verklungen sind, fühlen wir trotzdem, etwas Neues verstanden zu haben, und fühlen uns im gerade noch Wildfremden ungeheuer daheim. So geht spannende Dichtung. "Ein Brief an die geheimnisvolle Madame Monique" ist gerade mein Lieblingslied von der neuen Platte, Die Letzte Reise heißt das zweitliebste.Auf der Fahrt nach Innsbruck erzählte der Nino von Skopje, Maze­donien, wo er die neue Platte in einem alten Jugorock-Studio aufgenommen hat. Der Toningenieur verbot der Band vor dem Aufnehmen das Essen und befahl ihnen, beim Singen zu lächeln. Das Ergebnis ist beeindruckend. Die Innsbrucker, die cool sind, nahmen den Nino mit weitoffenen Tirolerherzen auf. Als wir anderntags zurückfuhren, in den hereinbrechenden Hochherbst, sprachen wie über Halloween versus Allerseelen. Ich sagte dem Nino, dass ich jahrelang nur Allerseelen kannte, als fades, aber irgendwie meditatives und kuscheliges Fest, bis ich über Filme wie „Schon wieder ist Freitag, der Dreizehnte“ auch Halloween kennenlernte. Nino entgegnete: „Wenn ich darüber nachdenke, bedeutet mir Halloween eigentlich mehr als zum Beispiel Ostern.“ernst.molden(at)kurier.at