Gewitterzeit in Wien
Während ich das schreibe, baut es sich über uns wieder auf. Lautlos, weil noch ist der Wind nicht da. Und auch die Front sieht man zunächst nicht. Es scheint sich bloß der eben noch blaue Himmel mit einer farblosen, höchstens ein bisschen milchigen Flüssigkeit zu füllen, quecksilberartig unruhig. Dann ist er mit einem Mal zweigeteilt, der Himmel. In eine strukturlose, bleigraue Hälfte und in eine blaue, unschuldige. Es ist
Gewitterzeit in
Wien.Vorgestern fuhren wir mit dem
Auto aus dem Höllental, wo es himmlisch schön gewesen war, zurück nach Wien. Der ganze Nordosten der Stadt war mit diesem bedrohlichen bleigrauen Dunkel bedeckt. Blitze tanzten nervig durch dieses Grau, wie Ballettmenschen durch die Szenen, die das
Neujahrskonzert unterbrechen. Es donnerte fern, aber es drang nicht bis zu uns nach
Erdberg.Gestern war es anders. Da ging die Liebste zur Freundin A. in den Zweiten auf Besuch. Als sie A’s Haus verließ, erzählte sie später, habe es direkt über ihrem Kopf gekracht, als sei ein Waggon mit TNT in die Luft gegangen. Aber der Himmel, sagte sie, sei blau gewesen! Ganz blau, sonnenerfüllt. Woher der Donner gekommen ist, wusste sie nicht, auch nicht, was oder wen der Blitz getroffen hatte. Ich hingegen hielt mich im schönen Funkhaus auf, um dort die Radioreporterin E. zu treffen. Wir sprachen über dies und das und beobachteten schließlich, wie das Gewitter sich auch über dem Theresianum-Sportplatz formierte. Lang auf den Boden legen, sagte ich. – Nein! rief Radioreporterin E. Eher ein Hauferl bilden, sagte sie, wenig Fläche bieten. – Und auf keinen Fall unter Bäume!, ergänzte ich. – Auf keinen Fall, pflichtete E. bei. Unter keinen Baum. Eichen
Wir sprachen über dies und das und beobachteten, wie das Gewitter sich über dem Sportplatz formierte. „Lang auf den Boden legen“, sagte ich. „Nein!“, rief Radioreporterin E., „eher ein Hauferl bilden.“ weichen, und alles andere auch. – Ich wollte ablenken, über den bösen Eichenprozessionsspinner sprechen, da krachte es infernalisch und wir verstummten beide.Abends las ich in der Zeitung, dass unter einem Baum am Rande der Jesuitenwiese eine Frau vom Blitz gestreift wurde. Sie und ein halbes Dutzend Kinder, das dabei war, mussten ins Spital. Sie wegen Herzrhythmusstörungen, die Kinder wegen Schocks.Und jetzt baut es sich wieder auf. Bewegungslos liegt der Joe-Zawinul-Park. Ich bilde innerlich ein Hauferl.
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