Frau Schneiders Stimme
Eine typische Alt-Wiener Mädchenstimme, ein heiter-glasklar glucksendes Raimund’sches Organ
über Durchsagen bei öffentlichen Verkehrsmitteln
Ich lese in der Zeitung, dass Frau Angela Schneider die neue Stimme der Wiener Linien wird. Okay, aha, ja eh. Ich traf Frau Schneider vor vielen Jahren während meines Vorlebens als Romanschriftsteller bei einer Literaturveranstaltung und fand sie sehr nett. Ich glaube mich aber erinnern zu können, dass sie eine typische Alt-Wiener Mädchenstimme ihr eigen nennt, ein heiter-glasklar glucksendes Raimund’sches Organ, und nun frage ich mich, was das mit mir (und den Millionen anderen Öffifahrern) machen wird, wenn wir erst miteinander da unten in der Unterwelt sind, Frau Schneiders Stimme und wir.In den vergangenen vier Jahrzehnten sprach dort ja mit niemals veränderter Teilnahmslosigkeit der großartige Franz Kaida zu uns – ein Rathausbeamter, den man zu einer Zeit, als die Beatles noch Musik machten und die ersten Wiener Bims ihre Schaffner verloren, als ideale Stimme des hiesigen Massenverkehrs identifiziert hatte. Franz Kaida sprach wie eine Amtsperson aus Kafkas Schloss, mit maximal einem Prozent Emotion in der ansonsten vollkommen papierenen Stimme und das hatte eine stille Majestät, ein Gemisch aus offiziöser Dämonie und unendlicher Ruhe. Wir Fahrgäste im Bus, in der U-, S- oder Bimbahn, wir sind ja im Moment der Transition eher nervöse bis furchtsame Wesen, und wir wollen, ja müssen, geradezu beruhigt werden.Aber ich bin optimistisch, Frau Schneider wird das schaffen. Und die Sache mit dem erforderlichen Einlullen von uns Passagieren, das wird auch hinhauen. Ich war gerade mit der Liebsten vier Tage in Paris, und hätte zu diesem Thema eine Anregung: Auch in der Pariser Metro kommt die ebenfalls weibliche Stimme vom Bandl, aber auf höchst originelle und unverwechselbare Weise. Stationen werden hier mit einer Pause von vielleicht fünf Sekunden zwei Mal hintereinander angesagt, und zwar, das ist das Entscheidende, in unterschiedlichem Tonfall, erst fragend, dann sanft bestätigend, wie ein Selbstgespräch, also so: „Place de Clichy? ... Place de Clichy!“ Das, hab ich mir gedacht, wär daheim zuhaus auch super: „Taubstummengasse? ... Taubstummengasse!“, „Kardinal-Nagl-Platz? ... Kardinal-Nagl-Platz!“ Danke, keine weiteren Fragen.
ernst. molden(at)kurier.at