Meinung/Kolumnen/Mitte

Das Morphing des finsteren Gaswerks

Den gierig und sierig einherschlurfenden Gaskassier mit seinem Abdrehschlüssel gibt es anscheinend nicht mehr.


über das Morphing des finsteren Gaswerks.

Die an dieser Stelle schon einmal, wenn auch noch lang nicht zu Genüge gewürdigte Volkssängerin Maly Nagl fasste in den Dreißiger-Jahren die Eckpfeiler des damaligen Prekariates so zusammen: "I hob kan Zins no zahlt, i bin nervös, / und auch der Gaskassier ist auf mich bös." Zu den Nachfahren der Gaskassiere sagt man in den Bezirken meiner Existenz heute deutlich weniger poesiehaltig "Typen vo da Wien-Energie", dabei hätten sie sich gerade nun den Eintritt ins Volkslied verdient, und zwar als Ritter der Urbs, als positive Großstadt-Identifikationsfiguren. Wir hatten hier den Fall, dass eine betagte Nachbarin nach ein paar Wochen der Rekonvaleszenz in ihre Wohnung zurückkehrte und dort bekümmert die Abwesenheit des Gases feststellte. So läutete sie bei uns an und teilte uns dies ratlos mit. Wie immer bei solchen Anlässen war es Freitagabend, und nachdem wir uns mit weiteren Nachbarn beratschlagt hatten, erkannten wir die Situation: Kürzlich haben sie uns ein Hauptgasrohr vor dem Haus erneuert. Dabei wurde generalstabsmäßig ab-, bei der Nachbarin aber nicht wieder aufgedreht, weil die ja nicht da war. Ohne große Hoffnung rief ich bei der Wien-Energie an. Aber dort war ein Mensch von so flüssigem Charme wie Roger Sterling in "Mad Men" am Telefon. Die Dame brauche sich in keinem Fall zu ängstigen, ja nicht einmal zu sorgen, weil sofort – Wann ist sofort? Na, jetzt – werde er einen Kollegen losschicken.

Der kam tatsächlich eine unpackbare halbe Stunde später, war jung und lieb, schwebte plaudernd in die Wohnung der Nachbarin, drehte alles auf und verschwand wieder. Ich war vor Begeisterung fassungslos. Ich hatte das Morphing des finsteren Gaswerks zur freundlich-glühenden Wien-Energie offensichtlich verschlafen. Den gierig und sierig einherschlurfenden Gaskassier mit seinem Abdrehschlüssel gibt es anscheinend nicht mehr. Seine Nachfolger stelle ich hiermit dorthin, wo sich auf den Regalen meines Bewusstseins schon andere Stadt-Heroes finden, Frauen und Männer, denen ich blind vertraue, 48er und Feuerwehrleute etwa.