"Sandy Happy Hour"
Von Guido Tartarotti
Grundhaltung: Wir haben 9/11 überstanden, Sandy kann sich brausen gehen.
über den New Yorker Galgenhumor
In New York wohnen wir an der Lower East Side. Interessante Gegend: Um die Ecke liegt ein schweinsteurer Spirituosen-Shop, in dem Jung-Bobos ihre Monatsgehälter in handgemolkenen Jahrgangs-Wodka, gewonnen aus glücklichen Kartoffeln, investieren. Ein Haus weiter ist eine christliche Suppenküche, vor der betrunkene Obdachlose in der Gegend herumliegen. Neben unserem Hotel betreibt ein überaus schwuler Schweizer ein bayrisches Bierlokal, in dem aus Oberösterreich stammende Studenten Sauerkraut verschlingen.
Das Fernsehen verbreitet angesichts des nahenden Hurrikans Sandy routiniert Weltuntergangsstimmung, die New Yorker nehmen es mit Galgenhumor. Grundhaltung: Wir haben 9/11 überstanden, Sandy kann sich brausen gehen. Vor einer Bar am Broadway hängt ein Schild: „Sandy Happy Hour“. Beim Mittagessen wünscht uns unser Kellner: „Enjoy your meal – enjoy your hurricane!“
Am nächsten Tag gilt ab 14 Uhr Ausgangssperre. Die New Yorker nutzen die Zeit bis dahin, ihre französischen Bulldoggen Gassi zu führen oder Sport zu betreiben. Das Wasser fetzt schon waagrecht durch die Luft, aber noch immer joggen Hunderte durch die Straßen. Kurz vor zwei kaufen alle noch einmal ein. Zwei Burschen kaufen Bier und Kondome – und sonst nichts. Sie lachen. „Wenn schon der Sturm kommt, wollen wir wenigstens Party machen.“ Angeblich soll sogar das Licht ausgehen.
Als später tatsächlich der Strom ausfällt und Manhattan in einen hellen Nord- und einen finsteren Südteil zerfällt, bleiben die New Yorker entspannt. Die vom Süden wandern in den Norden, laden ihre Handys an Stromsteckern von Weihnachtsbeleuchtungen auf und feiern im WLAN-Bereich vor Starbucks-Filialen „Wifi-Parties“. So geht Gelassenheit. Beneidenswert.www.guidotartarotti.atguido.tartarotti@kurier.at