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Hühnerkick

Im Hobbyfußballverein, in dem ich 20 Jahre lang mit mäßigem Erfolg dem Ball nachrannte (immer, wenn ich dort ankam, wo der Ball sich aufhielt, war er schon woanders), gab es den Begriff „ Hühnerkick“. Hühnerkick heißt, auf dem Spielfeld geht es zu wie im Hühnerhof, wenn sich das Gerücht verbreitet, der Fuchs sei anwesend: Alle rennen panisch durcheinander, sodass man nur noch Staub und Federn sehen kann. Hühnerkick beschreibt perfekt die Taktik unserer Mannschaft – kurioserweise hatten wir damit oft Erfolg: Wir steckten die Gegner mit Chaos und Panik an und schlugen sie dann, weil wir mit Chaos und Panik vertrauter waren als sie.

Genau so kommt mir unsere Zeit vor: wie Hühnerkick. Alle rennen und gackern aufgeregt durcheinander, die Federn und der Staub fliegen, niemand kann sehen, wo der Fuchs ist und ob es überhaupt einen Fuchs gibt, und in dem ganzen schwachsinnigen Durcheinander sind die im Vorteil, sie sich in Schwachsinn und Durcheinander auskennen. Und wer beim Hühnerkick nicht mitmacht, weil er die schöne Kulturtechnik der Gelassenheit nicht aufgeben will, der macht sich verdächtig – er steht im Verdacht, der Fuchs zu sein odert zumindest dessen Prokurist.

Typisch für diese Zeit ist, dass jede Meinung eine potenzielle Zumutung ist. In unserer Ära der automatisierten Grämlichkeit wird jede Meinung, die von der eigenen abweicht, als Bedrohung gewertet. Dabei ist es doch so: Beleidigt zu sein, weil jemand anders denkt als man selbst, ist ungefähr so sinnvoll, wie beleidigt zu sein, weil jemand eine andere Haarfarbe hat. Unterschiedliche Meinungen sind in einer freien Gesellschaft nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich erwünscht. Nur im Hühnerstall ist freies Denken abgesagt.

Übrigens: Die wohl schönste Facette des Hühnerkicks führte regelmäßig unser schlechtester Spieler vor: Fersentrick im eigenen Strafraum. Führte stets zu einem Tor für die anderen.

Guido Tartarottis neues Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" hat am 2. September im Niedermair in Wien Premiere.