Meinung/Kolumnen/über LEBEN

Marktplätze des Rechthabens

Alle sind so voller ... Meinung, sagt mein Freund, der Malz. Und das irritiert ihn. Zu Recht, wie ich finde. Wer gefüllt ist mit Meinung, der hat keinen Platz mehr für Zweifel. Intelligente Menschen erkennt man am Zweifel, hat einmal jemand gesagt. Ein anderes berühmtes Zitat, das wie viele berühmte Zitate mehreren Personen zugeschrieben wird, lautet: „Das Problem ist, die Intelligenten sind so voller Zweifel und die Dummen voller Selbstsicherheit.“ Derzeit trifft man überall nur Selbstsichere. Alle haben sie Meinungen und Antworten, und wer sagt, ich möchte über dieses oder jenes Thema lieber noch ein paar Minuten oder Wochen oder Jahre nachdenken, der gilt als Schwäch- und Feigling.

Ich meide deshalb seit einigen Monaten die Sozialmedien. Anlass (aber nicht Grund) dafür waren Postings nach den Anschlägen von Paris. Wer um die Opfer trauere, verkündeten da ein paar Selbstsichere erigierten Zeigefingers, sei blöd und unmoralisch, denn andere Tote anderswo auf der Welt hätten die Trauer eher verdient. Trauer gegen Trauer aufzurechnen, moralisch wertvolle von moralisch minderwertiger Trauer zu unterscheiden und anderen vorzuschreiben, worüber sie trauern dürfen, das fand ich so aberwitzig, dass ich spontan meine Accounts bei Twitter und Facebook gelöscht habe. Ich umfahre diese Marktplätze des Rechthabens derzeit großräumig. Lieber treffe ich den Malz im echten Leben.

Zum Abschluss ein Zitat, ich habe es schon einmal verwendet, aber es gefällt mir so gut, dass ich es wiederhole. Es stammt vom Schauspieler und Festspielchef Sven-Eric Bechtolf: „Nichts fürchte ich mehr als Dogmen, Überzeugungen und Ideologien. Ich ängstige mich vor den Gerechten, fliehe die Missionare und mag die Konsequenten nicht. Ich persönlich glaube niemandem und am wenigsten mir selbst.“ So ist es. Möglicherweise.