Meinung/Kolumnen/Stadtgeflüster

Der Gin des Lebens

Wien ist und bleibt jedenfalls im Gin-Liebestaumel

Anna-Maria Bauer
über Wacholderschnaps

Für jeden Typ sei etwas dabei. Für den Freidenkenden und den Stilvollen, den Optimisten und den Fleißigen oder auch den Junggebliebenen.

So stand es kürzlich in einer Aussendung, die in meinem Postfach gelandet war. Im ersten Moment könnte man meinen, hier werde eine Modemarke angepriesen, vielleicht sogar eine Singlebörse – aber eine eigene Gin-Getränkekarte mit mehr als 40 Spirituosen? Wirklich? Ja, meint offensichtlich die Budget-Hotelkette Motel One.

Anfangs dachte ich ja, es sei nur eine kurze Liaison, ein kleiner Sommerflirt. Aber es wurde – zumindest für mich – eine heftige Affäre, für andere offenbar eine leidenschaftliche Beziehung. Wien ist und bleibt jedenfalls im Gin-Liebestaumel.

Vielleicht liegt es an seinem klaren transparenten Wesen, das kaum Kopfweh bereitet. Vielleicht an dem würzigen, wenn auch leicht bitteren, trotzdem süßen Charakter, der Lust auf mehr macht. Oder an der Flexibilität beim Kombinieren, die eben Langeweile verhindert.

Die Getränkekarte im Budget Hotel ist dabei nur eine Beleg für die Wacholderschnaps-Vorliebe in der Hauptstadt der Alpenrepublik. Lokale bieten zunehmend Gin-Tastings an. Das Afterwork-Clubbing "Work-A-Tonic", das monatlich im Hilton am Stadtpark stattfindet, hat sich ziemlich rasch zu einer von Wiens größter Nach-der-Arbeit-Veranstaltungen gemausert. Heute, Freitag, sowie morgen, Samstag, geht zudem das "Gin & Friends"-Event in der Marktwirtschaft in die zweite Runde. Für 20 Euro darf man sich dabei fünf Gins und fünf Tonics aussuchen.

Und immer häufiger hört man Gäste mit Barkeepern diskutieren: "Sie haben aber nicht nur Bombay Sapphire, oder?"– "Geben Sie eh auch Gurke und Pfeffer dazu?" – "Oh nein, das Tonic hatte ich das letzte Mal schon."

Bleibt nur zu hoffen, dass die Liebe nicht in Wahn umschlägt, im Zuge dessen sich die Gäste dann selbst hinter den Tresen stellen und ihre eigenen Kreationen mixen.