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Vagina-Style

Bitch steht bei einer neuen Generation junger Frauen gut im Kurs

Gabriele Kuhn
über Bitchismus

Bitch!“ Da sitzt sie, die 13-Jährige und schmeißt den englischen Wortschatz in die Idylle. „Wie meinen, Augenstern?“

Natürlich hat das Kind keine Ahnung, was es da spricht. Der Begriff Bitch ist gerade genauso in wie die Begriffe ure super, voll geil oder chillig. Bitches sind aus ihrer Sicht die coolen Freundinnen, die starke Clique – die, die das Sagen haben. Dass Bitch auch Schlampe, Hure oder Nutte heißt – ahso, aha.

Egal. Dinge verändern sich, man muss es nur wissen. Bitch steht bei einer neuen Generation junger Frauen gut im Kurs – das Wort hat (auch) eine positive Umdeutung erfahren. So heißt das neue Buch der Rapperin (und Uni-Dozentin) Lady Bitch Ray (Link: Website) alias Reyhan Sahin „Bitchism“. Es soll als „Lifestyle-Guide zum selbstbestimmten Bitch-sein“ verstanden werden – im Sinne von Emanzipation, Integration, Masturbation (erschienen im Vagina-Style-Verlag). Mag schon sein, dass darin enthaltene Tipps von der „Mösen-Meditation“ bis zum „Schwanz-Pilates“ auf den ersten Blick dazu (ver)führen, das Werk als des Teufels (genauer: der Teufelin) abzutun. Doch auf den zweiten Blick hat es eine feministische Botschaft, mit der die Provokationskünstlerin bewusst aufrütteln möchte.

Worum es ihr geht? „Um einen Feminismus, der alle Frauen vereint und nicht voneinander separiert.“ Bitchismus sei eine Form von Weiblichkeitsentwurf, in dessen Rahmen Frauen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Die Vagina, die sie oft und gerne zitiert, steht hier für die weibliche Urkraft. Für das Weib-Sein – und das gilt natürlich auch für die Sexualität. Denn nach wie vor wird die bewährte Formel bemüht: Frauen, die viel herumvögeln, Sexualität also offen ausleben, die sich lustvoll und explizit kleiden, die wissen, was sie wollen (und es sich besorgen) = Schlampen. „Bei Männern hingegen ist das geil“, sagt Reyhan Sahin. Und hat dafür auch eine Diagnose bereit – „die patriarchalischen Schwanzstrukturen“.

Man kann jetzt die Augen verdrehen und „Kindmussdassein!?“ seufzen. Geht doch ohne böse Worte! Man kann aber auch verstehen, dass Provokation oft der einzige Weg ist, etwas aufzuzeigen, eine Veränderung herbeizuführen, die Welt neu zu gestalten. Eine Welt, in der die sexuelle Befreiung zwar stattgefunden hat, aber schon wieder drauf und dran ist, in der frisch tapezierten Biederkeitskiste zu verschwinden. Daher: Willkommen beim Slut Walk.

An dieser Stelle darf ich das neue Buch „Herzlos“ (Echomedia) von Susanne Wiegele empfehlen. Der Band ist dünn, der Inhalt heftig. In ihm stecken die (autobiografischen) Erinnerungen einer Frau, die ihr „unanständiges“ Leben aufgeschrieben hat. Klar, unmissverständlich, hart, aber nie bemüht-peinlich. Eingestreut gibt’s Tipps: etwa für S/M oder das „angemessene“ Verhalten in Swingerklubs. Man kann das Buch so nehmen, wie es daherkommt: als Heißmacher und Inspiration für die extremeren Seiten des Vögelns. Man kann aber auch die Botschaft zwischen den Zeilen lesen, die Wiegele dort mal mehr, mal weniger platziert hat: „Es ist einfach an der Zeit, dass Frauen genauso handeln dürfen wie Männer.“ Oh, ja.

Die Mösen-Meditation erklärt Lady Bitch Ray übrigens so: „Du musst dich geil fühlen, zur Sexualität stehen, zur Weiblichkeit.“