Leitl: "Eine Schule für alle von 6 bis 14"
Christoph Leitl verlangt, dass bis zur Wahl 2013 Reformen im Bildungssystem in Angriff genommen werden – und er plädiert für eine Schule für alle Sechs- bis 14-Jährigen.
KURIER: Bis zur Wahl 2013 hat die Regierung noch ein Jahr Zeit. Was sollte bis dahin aus Ihrer Sicht erledigt werden?
Christoph Leitl: Es muss bei der Bildung sehr viel weitergehen, vor allem bei einer Reform der Lehre. Die demografische Falle schnappt in den nächsten zwei bis drei Jahren zu, die Zahl der 15-Jährigen, die für eine Lehre infrage kommen, sinkt dramatisch. Uns werden die Lehrlinge und damit die Fachkräfte ausgehen, wenn wir die duale Ausbildung nicht attraktiver machen.
Was schwebt Ihnen vor?
Es darf nicht mehr heißen, Lehre oder Schule, sondern es muss heißen: Lehre und Schule. Jedem, der eine duale Ausbildung beginnt, sollen alle Wege nach oben offenstehen. Man soll mit 19 den Zugang zur Universität, zur Fachhochschule oder zu Berufsakademien haben. Und für die, die nach der Schule nichts machen – das sind etwa 10.000 junge Menschen pro Jahr –, brauchen wir Coaching-Programme. Es gibt keinen jungen Menschen, der kein Talent hat.
Und abseits der Lehre?
Man kommt bei der gesamten Bildungsreform kaum vom Fleck. Genau genommen tut sich bei der Frage, wie wir mit dem Potenzial und den Begabungen unserer jungen Menschen umgehen, gar nichts.
Das liegt vor allem an Ihrer eigenen Partei, der ÖVP.
Ich will parteipolitisch keine Schuld zuweisen. Es müsste die Bundesregierung von der obersten Spitze weg die Eckpunkte nennen und gemeinsam mit Tabus, die durch nichts mehr haltbar sind, brechen.
Welche Tabus meinen Sie?
Studiengebühren zum Beispiel; oder die Notwendigkeit einer differenzierten gemeinsamen Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen. Es müssten die Pflichtschul-Typen langfristig zusammengeführt werden. Am Ende hätten wir – wenn sie so wollen – eine Schule für alle Sechs- bis 14-Jährigen.
Am Montag wird eine Reform der Invaliditätspension vorgestellt. Reicht das fürs Erste?
Die Sozialpartner haben beim Thema Rehabilitation vor Pension gute Arbeit geleistet. Das Thema wird uns aber weiter begleiten müssen. Wir brauchen wegen des Fachkräftemangels Anreize, damit sich hoch qualifizierte Kräfte nicht zum erstmöglichen Termin in die Pension vertschüssen. Das kann eine Prämie sein, ein Bonus oder die Aufhebung der Zuverdienstgrenze.
Ab wann sollte es solche Anreize geben?
Rasch, ab 1. Jänner 2013.
Themenwechsel: Die Schuldenbremse im EU-Fiskalpakt und die Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM werden zum Teil heftig kritisiert. Wie schlägt sich die Regierung im Umgang mit den Folgen der Schuldenkrise?
Es wird nicht genug erklärt. Dabei bin ich mir sicher, dass man durch Information sehr viele Ängste nehmen und Kritiker beruhigen könnte. Viel mehr Information zur EU und zur Eurokrise: Das ist noch ein Schwerpunkt, den sich die Regierung bis zur Wahl vornehmen müsste.
Was wurde bis jetzt zu wenig erklärt?
Man müsste sagen, dass die EU eine Solidargemeinschaft ist und man für den anderen eintritt. Unser Anteil am ESM ist rund 20 Milliarden Euro hoch. Das ist wahnsinnig viel. Ich verstehe, dass es da Unmut gibt. Aber in Österreich haben wir ja auch eine Solidargemeinschaft. Da müsste man den Leuten auch sagen: Wisst ihr, dass wir ungefähr in der Größenordnung des ESM eine Haftung der Republik für das Bundesland Kärnten, nämlich für die Hypo Alpe- Adria, haben?
Um dem Informationsdefizit etwas entgegenzusetzen sind Kampagnen geplant. Was sollten sie beinhalten?
Ich hoffe, dass wir mit den anderen Sozialpartnern, mit dem Außenministerium und der Gesellschaft für Europapolitik etwas Ordentliches zusammenbringen, was uns aus der derzeitigen Situation herausbringt. Wir brauchen eine Offensive, so wie jene damals vor dem EU-Beitritt. Wir müssen mit den Leuten reden. Die Wirtschaftskammer zieht mit dem Europaschirm durch das Land und war bei mehr als 600 Veranstaltungen mit fast 400.000 Menschen in Kontakt. Das reicht aber nicht.
Neue Runde für zähe Gespräche
Am Montag wird wieder um ein neues Lehrer-Dienstrecht gerungen. Es ist wohl ein Vorteil, dass die Gespräche "nur" auf Beamtenebene laufen. Denn die politisch Verantwortlichen haben sich zuletzt heftig gegenseitig über die Medien kritisiert.
Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) verglich etwa Teile der Lehrergewerkschaft mit der erzkonservativen US-amerikanischen "Tea Party". Zuletzt wünschte sie sich "Engagement" von den Lehrern – sie sollen von sich aus Vorschläge in die Verhandlungen einbringen. Lehrer-Chefverhandler Paul Kimberger kann diese Aussage nicht nachvollziehen: " Sie ist von ihrem Ressort wohl nicht ausreichend über den Stand der Gespräche informiert worden." In den bisherigen Runden hat es kaum Annäherung gegeben: Es spießt sich am Gehaltsmodell, an der Art des Dienstverhältnisses, der Ausbildung und der Zuteilung von administrativem Hilfspersonal für Lehrer.
Die Gewerkschaft öffentlicher Dienst warnt zudem vor einer Lehrer-Pensionswelle: Wegen der Verschärfung bei der Hacklerregelung ab 2014 würden alle Lehrer in Pension gehen, die die Chance haben, heißt es aus der GÖD. Im Unterrichtsministerium beruhigt man indes: Man erwarte keine Verschärfung der Lage, da die Studierendenzahlen an den Pädagogischen Hochschulen ansteigen.
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