Politik von innen: Frauen verlieren, Migranten gewinnen
Von Daniela Kittner
Den Vorsitz wird Nationalratspräsidentin Barbara Prammer persönlich übernehmen.
Am Sonntag hat der Chef der Jungen ÖVP (JVP), Staatssekretär Sebastian Kurz, als Erster ein neues Wahlmodell in die Debatte eingebracht. Demnach sollen die Wähler künftig nur noch Personen und keine Parteien mehr wählen (die Parteistärke ergibt sich aus der Summe der für ihre Kandidaten abgegebenen Stimmen). Einhundert Nationalratsabgeordnete sollen die Wähler künftig direkt aussuchen dürfen (die restlichen Abgeordneten sollen weiterhin von Parteilisten kommen und das Stärkeverhältnis gemäß dem Wählerwillen abbilden). Ob die Bundes-ÖVP, in deren Auftrag Kurz das Modell erarbeitete, seinem radikalen Vorschlag folgen wird, ist offen.
Kurz’ Vorschlag entmachtet die Parteien. Derzeit bestimmen die Landesparteien, wer ins Parlament kommt. Je mehr die Wähler mitreden, umso geringer ist die Macht der Parteien.
Von der SPÖ kam sofort Widerspruch gegen die Persönlichkeitswahl. Kleinere Parteien würden benachteiligt, vermögende Kandidaten bevorzugt, meint SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter . Er fürchtet, dass „Großbauern und Unternehmer“ mit Geld gegen Arbeiter und Angestellte ohne Wahlbudget gewinnen.
Wie wirkt sich ein Persönlichkeitswahlrecht tatsächlich aus? Die deutschen Städte Hamburg und Bremen sind ein Versuchslabor. In beiden Städten gelten innovative Wahlsysteme, bei denen jeder Wähler fünf Stimmen vergeben darf: Alle fünf Stimmen für eine Partei oder einen Kandidaten oder je eine Stimme für unterschiedliche Parteien und Kandidaten (und alle Abstufungen dazwischen). Der deutsche Politologe Lothar Probst hat die Auswirkungen des neuen Wahlrechts untersucht. Die Ergebnisse:
Das neue Wahlrecht wurde fast zu 100 % genutzt. Es kam sehr gut an.
Auf die Wahlbeteiligung hatte es kaum Auswirkungen, weder stieg sie wegen mehr Einflussmöglichkeiten noch sank sie wegen der komplexen Stimmabgabe.
70 % der Wähler gaben alle fünf Stimmen nur einer Partei und deren Kandidaten. 30 % der Wähler nutzten die Möglichkeit, ihre Stimmen verschiedene Parteien bzw. Kandidaten zu verteilen.
Die Personenstimmen machten mehr als 40 % aus. Beispiel: Von zehn Stimmen bekam die SPD sechs als Parteistimme, vier als Kandidatenstimme. Die Listen wurden umgeworfen. Beispiel: Von 30 SPD-Sitzen wurden 14 über die Liste vergeben, 16 über die Personenwahl, und von diesen 16 wurden acht von unwählbaren Plätzen ins Parlament katapultiert. Fazit: Rund ein Viertel der SPD-Mandatare kam auf Wählerwunsch, nicht auf Parteiwunsch ins Parlament.
Folge der Umreihung: Ins Parlament kamen weniger Frauen, von den acht „ungeplanten“ Abgeordneten waren vier Männer mit Migrationshintergrund. Probst: „Die stark personalisierten Wahlsysteme haben erhebliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Parlamente. Die Quotenregeln für Frauen werden teils unterlaufen, Bewerber mit Migrationshintergrund profitieren.“
Für Städte (Wien, Graz) sind Hamburg & Bremen interessante Laborversuche, für ländliche Gebiete lässt sich kaum etwas ablesen.