Meinung/Kolumnen/Paaradox

Fragwürdiger Rollentausch

Nach einer gewissen Zeit ist er ein bisschen sie – und sie ein bisschen er.

Gabriele Kuhn
über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Kennen Sie Prousts Fragebogen? Um 1886 beantwortete der 15-jährige Marcel Proust auf Französisch die englischen Fragen seiner Freundin Antoinette Faure. Fünf Jahre später beantwortete der Schriftsteller einen französischen Fragebogen und nannte ihn „Marcel Proust par lui meme“ (Marcel Proust über sich selbst). Was das mit uns zu tun hat? Es heißt ja oft, Eheleute würden einander immer ähnlicher. Nach einer gewissen Zeit ist er ein bisschen sie – und sie ein bisschen er. Nach 15 gemeinsamen Jahren erlaube ich mir daher, ein paar von Prousts Fragen an seiner Stelle zu beantworten. So als wäre ich der Mann nebenan oder zumindest Gast in seinem mir allzu gut bekannten Kopf.

Voilà!

Ihre liebste Tugend? Alles jenseits Körbchengröße B. Eigenschaft bei Männern: Austria-Wien-affin. Hole-in-one-talentiert. Kärchernd. Eigenschaft bei Frauen: Austria-Wien-tolerant. Nicht abgeneigt. Fleisches-Lustig. Helden im echten Leben: Leo Messi. Leo Messis Vater. Leo Messis Opa. Ich. Heldinnen im echten Leben: Gabriele Kuhn (weil an meiner Seite), meine Mutter (ohne sie gäbe es mich nicht), Leo Messis Mutter. Leo Messis Hebamme. Ihre Vorstellung von Glück: T-Bone, dry aged, 30 cm dick. Camp Nou, ausverkauft. Ball, mit einem Durchmesser von mindestens 42,67 mm, einem Maximal-Gewicht von 45,93 g und ca. 300 bis 450 Dimples (kleinen Dellen). Es handelt sich um einen Golfball. Wenn nicht Sie selbst, wer wären Sie gerne? Leo Messi oder wenigstens Leo Messis linker Fuß. Der BH von Monica Bellucci. Wo würden Sie gerne leben? In Barcelona. In Leo Messis Garderobe, kann auch sein Badezimmerschrank sein. In Gabrieles Herzen. Ihre tiefste Abneigung: Tofu, Paradeiser, der Garten nach einem langen Winter. Das Wort „sofort“. Ihr größter Fehler: Fragen Sie bitte meine Frau, dazu fällt mir nichts ein.

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Er

In Marcel Prousts siebenbändigem Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu)“ findet sich unter anderem dieser Satz: „Die Lüge ist das wichtigste und meistverwendete Werkzeug der Selbsterhaltung.“

Das trifft auf das Leben und die Liebe im Allgemeinen, sowie auf die Kolumne „Paaradox“ im Speziellen zu. Es gibt längst keinen Zweifel mehr an der Notwendigkeit, allerlei Wahrheiten zu verschweigen, zu adaptieren oder sogar bis zur Unkenntlichkeit zu zerstören. In diesem Sinne: Glauben Sie bitte nicht alles, was die Dame da drüben schreibt. Dafür mir umso mehr. Vor allem dann, wenn ich jetzt an ihrer Stelle den Proust’schen Fragebogen beantworte.

Voilà!

Ihre liebste Tugend? ICH habe darüber nachgedacht, und deshalb sollten WIR darüber reden. Eigenschaft bei Frauen: Sehen Fußball als satanisches Verserl, grillen Zucchini, vertrauen Tarotkarten. Eigenschaft bei Männern: Anerkannte Experten auf dem Gebiet des Sofort-Erledigens. Heldinnen im echten Leben: Jede Frau, die zum tausendsten Mal sagt „Ich werde wahnsinnig“, und es zum tausendsten Mal nicht wird. Helden im echten Leben: Jeder Sockenwegräumer. Jeder Thermophorproduzent. Jeder Wettervorhersager. Ihre Vorstellung von Glück: Ich sitze in einem Turmzimmer mit Meerblick und schreibe einen Roman. Höre Beethoven, rieche Lavendel, trinke Grauburgunder. Und niemand erklärt mir, dass man davon nicht leben kann. Wenn nicht Sie selbst, wer wären Sie gerne? Mein liebevoll massierter Fuß. Agentin 006 an Daniel Craigs Seite. Wo würden Sie gerne leben? Wo ich ein Meeresrauschen höre. Oder auf dem Mond (es sei denn, dort wird auch Fußball gespielt). Ihre tiefste Abneigung: Stadionatmosphäre im Wohnzimmer, und die Frage „Wo ist ...?“ Ihr größter Fehler: Mein „Ja“ zu Sky-Sport.

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