Meinung/Kolumnen/Ohrwaschl

Schwäche und Stärke

Schwäche zuzugeben, ist nicht schwach – sondern beweist viel Kraft

Guido Tartarotti
über Depressionen

Früher galt das Eingeständnis, unter Depressionen zu leiden, als hochgradig peinlich. Den Betroffenen wurde empfohlen, sich zusammenzureißen, Sport zu betreiben, kalt zu duschen, nicht so viel zu denken und lieber einen Obstler zu trinken. Heute ist das anders. Ein Burn-out gilt in manchen Kreisen beinahe als schick, ebenso wie eine Laktoseintoleranz. Könnte man sagen, wenn man über viel Bosheit, aber wenig Ahnung verfügt.

Um 41 Prozent stieg die Zahl der psychisch bedingten Krankenstandstage seit 2009 an. 900.000 Menschen wurden zuletzt wegen psychischer Erkrankungen behandelt. Es gibt Schätzungen, wonach jeder zweite (!) Österreicher mit seelischen Beeinträchtigungen zu kämpfen hat.

Für diesen Anstieg gibt es zwei Gründe. Erstens werden psychische Leiden heute eher diagnostiziert und eingestanden als früher. Zweitens steigt der Druck in einer entsolidarisierten, unübersichtlicher werdenden Krisen-Gesellschaft. Festzuhalten ist: Schwäche zuzugeben, ist nicht schwach – sondern beweist viel Kraft.