Nebenan erfinden sie derweil das Rad
Von Doris Knecht
Man sieht ein Stück Wien, von dem man sonst nur den Untergrund kennt, auch einmal von oben.
über die U4-Sperre
Ab heute: U4-Teilsperre vier Monate lang. Das ist bitter für Leute, die täglich die U4 in diesem Streckenabschnitt benützen, um in die Arbeit, in die Schule, zur Uni zu kommen: Sie müssen jetzt täglich eine Viertelstunde früher aufstehen, so lange dauert die kürzeste Überbrückungs-Alternative.
Das klingt in erster Linie nach einem Fluch für die Betroffenen. Vielleicht lässt sich aber, wie aus vielen augenscheinlichen Nachteilen, auch daraus ein bisschen Vorteil ziehen. Denn wenn man einmal (obacht, jetzt wird’s metaphorisch) einen richtigen Weg, eine perfekte Fortbewegungstechnik gefunden hat, macht man sich meistens nicht die Mühe, einmal einen anderen Weg zu suchen, sich für eine Abzweigung zu interessieren oder eine andere Form des Weiterkommens. Einen anderen, neuen Blick nach vorne: man trampelt stur immer den gleichen Pfad entlang und inzwischen erfinden sie nebenan das Rad und man merkt es gar nicht.
Ihre Autorin, die es nicht gerne hat, wenn sich was ändert, weiß wovon sie spricht. Ich gehe womöglich immer den gleichen Weg. Und ich esse, wenn man mich lässt, am liebsten heute und morgen das, was mir schon gestern geschmeckt hat, wie (das Beispiel habe ich auch schon öfter bemüht) weiland Wittgenstein, der gesagt haben soll, es sei ihm egal, was er esse, Hauptsache, es sei immer das Gleiche.
Allerdings trifft man nur auf wunderbare neue Geschmäcker, wenn man diese Tradition einmal unterbricht. Und auch einen neuen Weg zu gehen oder eine Distanz einmal anders zu überwinden, kann andere Sinne animieren. Und so bringt diese U4-Teilsperre vielleicht für einige der Betroffenen auch Gutes: Vielleicht, weil man ein Stück Wien, von dem man sonst nur den Untergrund kennt, auch einmal von oben, aus einer Bim oder einem Bus, sieht. Vielleicht, indem man einmal ein Stückl davon zu Fuß geht oder die Distanz mit dem Fahrrad überwindet (fahrradwien.at hat Infos dazu).
Sehn wir’s als Chance, machen wir das Beste daraus, nützt ja eh nix.
doris.knecht Doris Knecht