Ist alle Kunst ein Opernball?

Keine Bewegung ohne Gegenbewegung. Während einerseits milliardenfach die Enten-gesichtigen Selfies aus dem Internet quellen, legen auf der anderen Seite immer mehr Netz- und Netzwerk-User Wert auf Privatsphäre und verweigern das optimierte Selbstbildnis. Oder überhaupt gleich die Preisgabe ihrer Identität.

Wir sprechen jetzt nicht von anonymen Hassern und verbalen Heckenschützen. Kennen Sie Sia? Wahrscheinlich: Jedes Kind kann "Chandelier" mitsingen, das Lied war nominiert für den Song-des-Jahres-Grammy. Den es, anders als die siegreiche und längst des Plagiats überführte britische Schnulze, auch verdient hätte; schon wegen des großartig-verrückten Videos, das auf YouTube inzwischen mehr als eine halbe Milliarde Mal angeklickt wurde. Darin nicht zu sehen: Sia, die Interpretin, stattdessen tanzt die 12-jährige Maddie Ziegler durch das Video. Sia zeigt sich auch nicht mehr bei Talkshows und Auftritten, die sie mit dem Gesicht zur Wand zu absolvieren pflegt. Wie auch bei den Grammys, wo sie mit einer riesigen Perücke erschien, die nur ihren Mund zeigte.

Sia hat einen guten Grund: Sie lehnt die Kritik, die Häme, den Spott, die Verurteilung des Internets ab. Sie möchte als Künstlerin wahrgenommen werden – und nur als Künstlerin. Sie will keine Bewertung ihres Aussehens, sie will nicht – das Los aller Hollywood-Schauspielerinnen – dafür be- und verurteilt werden, wie sie altert oder nicht altert, bzw. ob sie das überhaupt darf. Sie möchte unsichtbar sein.

Das ist sehr schwierig in einer neugierigen Öffentlichkeit, die fast nur noch über und mit Bildern kommuniziert. Es ist besonders schwierig für Künstler und Kreative, die mit ihrem Werk identifiziert werden. Denn gibt, wer mit seiner Arbeit in der Öffentlichkeit steht, auch das Recht auf sein Bild aus der Hand und zur allgemeinen Beurteilung frei? Ist alle Kunst ein Opernball? Sia sagt: Nein; mein Bild ist mein.

Morgen, Freitag, 13.2., präsentiert Doris Knecht gemeinsam mit Manuel Rubey das Hörbuch zu ihrem Roman "Gruber geht". Thalia W3, 19 Uhr. Der Film "Gruber geht" läuft derzeit in den Kinos.