From Russia with love
Alexander war so geschockt vom Ergebnis, dass es ihm schlicht die Red’ verschlagen hatte
über Schladming-Sieger Choroschilow
Irgendwo in der Ramsau in der Nähe des Dachsteins klingelt ein Handy des frisch gebackenen Siegers des Schladminger Nachtslaloms. Weil die Nummer unterdrückt ist, hebt Alexander Choroschilow nicht ab. In der nächsten halben Stunde wiederholt sich diese Szene noch drei Mal. Alexander ist viel zu aufgewühlt und fertig und feiert mit seinem engsten Betreuerkreis und seiner Familie seinen historischen Sieg und hebt wieder nicht ab.
Erst am nächsten Tag erfährt er von seinem Verbandspräsidenten Leonid Melnikow, dass Wladimir Putin vier Mal versucht hatte, auf seinem Handy anzurufen.
Modellathlet
Alexander Choroschilow ist schon 29 Jahre alt, aber erst in diesem Winter ist er zur Elite der Slalomartisten aufgestiegen. Und der Aufstieg war ein langer und schwerer Weg, aber der zähe und robuste Modellathlet hat es mithilfe zweier slowenischer Trainer und vieler Trainings auf österreichischem Boden geschafft, die Hirschers und Neureuthers dieser Welt in Schladming gleich um eine Sekunde und 42 Hundertstelsekunden abzuhängen.
Nachdem Choroschilow dort als letzter Starter des Nachtslaloms die Ziellinie überquert hatte, schaute er kurz auf die Anzeigetafel, schüttelte den Kopf, ballte die Faust – das war’s dann auch schon.
Schockstarre
Ich bin vor dem TV-Gerät gesessen und ganz wahnsinnig geworden, weil ich mir sagte: Wie kann ein Mensch, der so lange für etwas schuften musste, im Moment des größten Triumphes keine stärkeren Emotionen zeigen? Ich dachte mir in diesem Augenblick: Dich wird man nicht vermarkten können, wenn du auch deine weiteren Siege so zurückhaltend feiern wirst.
Die Wahrheit ist: Alexander war so geschockt vom Ergebnis, dass es ihm schlicht die Red’ verschlagen hatte und er nicht mehr genau wusste, wie ihm geschah.
In Colorado hat er mir jetzt verraten, dass er in Schladming im erstem Moment gedacht hat, das wäre ein Witz, ein Fehler oder ein Missverständnis. Nur deshalb sei er so zurückhaltend gewesen. Wir werden ja sehen, ob Choroschilow heute beim Grande Finale dieser WM schon anders reagieren wird, sollte er eine Medaille gewinnen.
Spezialist
Choroschilow war eigentlich ein Allrounder, und er war schon in Sotschi in der Kombination drauf und dran, eine russische Medaille einzufahren, ehe er kurz vor dem Ziel einfädelte. Die Trainer haben ihn vor dieser Saison überzeugen können, dass er sich ganz auf den Slalom konzentrieren sollte – das scheint auch der goldrichtige Weg zu sein.
Bis zu 30.000 Tore soll Alexander jedes Jahr aus dem Weg räumen. Die Deutschen haben mir erzählt, dass manche seiner Slalomläufe in Zermatt dermaßen lang waren (bis zu 120 Tore), dass sie alle froh waren, dass sie nicht dieses Pensum absolvieren mussten. Denn normalerweise wälzt du dich am Boden, so fertig bist du nach 120 Toren, und du musst dich übergeben.
Instinktläufer
Und was macht Alexander? Er steht auch da noch ganz unbeeindruckt da, um nach einer kurzen Verschnaufpause gleich den nächsten Kurs in Angriff zu nehmen. Das viele Training hat Alexander selbstbewusst und sicher gemacht, und er hat instinktiv gelernt, wie er die Slalomstangen am effizientesten aus dem Weg räumt. Ich kenne im Moment keinen anderen Slalomläufer, der den Schwungansatz so früh trifft wie Choroschilow. Es folgt ein kurzer Druck und schon gibt er den Ski wieder frei, und so muss er nur ganz selten unter dem Tor den Schwung fertig machen und vermeidet dadurch, dass er gebremst werden könnte.
Kann er diese Technik, so wie in Schladming, heute auch auf US-Boden zaubern , dann wird er gut beraten sein, bei seinem Handy diesmal ranzugehen, wenn es läutet und am Display wieder eine "unbekannte Nummer" aufleuchtet. Denn ich kann mir vorstellen, dass Putin zurzeit lieber mit Alexander telefoniert als mit Frau Merkel.