Zeiterscheinung
Von Karl Hohenlohe
Es ist das Privileg der Gesellschaftsredakteure, dass sie keine Meinung haben.
über Zeiterscheinung
In einem Ihrer letzten Berichte erwähnten Sie Sido“, schreibt Elfriede P., „schwang da ein negativer Unterton mit oder sind Sie ein Fan? Wir rätseln.“
Es ist das Privileg der Gesellschaftsredakteure, dass sie keine Meinung haben.
Wir beurteilen ein Konzert nach unser Sitzposition, einen Politiker nach dessen Trinkfestigkeit und Sido nach dessen Hitparadenplatzierung.
Momentan hält sich Herr Sido mit dem Lied „Bilder im Kopf“ ganz ausgezeichnet und wird von Gesellschaftsredakteuren mit Liebe überschüttet.
Als ich ein Kind war, konnte man die Hitparade noch mit Vierteltelefon und Postkarten beflügeln.
Vereinzelt griffen die Stars selbst zum Hörer, stimmten für ihr Lied und wurden dann von Peter Rapp oder Dieter Thomas Heck im Fernsehstudio begrüßt.
Herr Sido hat das nicht nötig.
Unzählige Kinder, die ihn verehren, wie wir seinerzeit den Ganoven Kater Carlo, geben ihre Stimme ab.
Als letztes Jahr der Zirkus „ Roncalli“ in Wien gastierte, war bei der Premiere auch Herr Sido zu Gast.
Dutzende Kinder stellten sich hyperventilierend um Autogramme an und als auch ich endlich vor ihm stand, erschien er ehrlich überrascht.
„Ein Erwachsener?“, wollte er rufen, aber er tat es nicht.
Ich dankte für den Zettel, auf dem unleserlich „Sido“ geschrieben war, wollte ihn meiner Hochachtung versichern, aber nur, solange er in der Hitparade oben schwimmt, tat es aber nicht.