Meinung/Kolumnen/GesMBH

Schriftzug entgleist

Viele Menschen glauben, Rückschlüsse vom Schriftbild des Verfassers auf seine Psyche ziehen zu können.

Karl Hohenlohe
über Autogramme.

In Salzburg schrieb die Sängerin Cecilia Bartoli nun Autogramme. Ihre Anhänger waren von Stimme und Schriftbild begeistert.

Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen schreibt die Bartoli ihren Namen aus. Ich besitze Unterschriften von Lennbernstn, FitzMular und ein vollkommen unleserliches Autogramm von Rudolf Buchbinder, das keinerlei Rückschlüsse auf irgendeinen Buchstaben zulässt.

Die Unterschrift auf der Autogrammkarte von Frau Bartoli beginnt links oben und endet rechts unten, auf ihrer Reise streift sie die Stirn der Sängerin, dann fast ein Auge und legt sich längs der Halsschlagader in die Zielgerade.

Viele Menschen, so auch der Bestseller-Autor Stefan Zweig, glaubten, Rückschlüsse vom Schriftbild des Verfassers auf seine Psyche ziehen zu können.

„Ich kenne den Zauber der Schrift“, schrieb er 1907 an Rilke, „ich weiß, dass man mit der Handschrift eines Buches nicht nur schenkt, sondern auch einem ein Geheimnis verrät.“

Niemals, ich selbst habe schon einige Worstseller verfasst, manche auch unterschrieben, niemals hätte man kraft meiner Unterschrift auf meine Psyche schließen können.

Hätte Herr Zweig nicht Herrn Buchbinder, aber seine Unterschrift gekannt, dann Gute Nacht. Er hätte ihn vielleicht für einen manischen Psychopathen gehalten, einen Nietzsche im Endstadium, einen Dr. Hannibal Lecter oder einen Kim Jong-un.

Die Wahrheit: Rudolf Buchbinder ist bei klarem Verstand, sein Schriftbild gilt jedoch als verbesserungswürdig.