Meinung/Kolumnen/Chaosdeluxe

"Sie elendiges, brutales, abscheuliches Wesen"

Meine letzten wahnwitzigen Alles-oder-nichts-Liebesbriefe habe ich mit 17 bekommen.

Polly Adler
über Verabschiedungen.

Ich wate durch Liebesbriefe. Leider nicht durch meine, sondern die von Schnitzler, Freud, Fitzgerald, Tolstoi und jenen Frauen, die sie in radikalem Pathos anbeteten, bis sie ihnen „gleichgiltig“ (Schnitzler) und „unerträglich“ (Tolstoi) wurden. Meine letzten wahnwitzigen Alles-oder-nichts-Liebesbriefe habe ich mit 17 bekommen; das blassblaue Papier riecht noch heute nach seinem Parfüm. Wahrscheinlich bin ich nie wieder so geliebt worden wie von diesem 20-jährigen Franzosen. Die Elektropost und die rationalisierende Verknappung der Gedanken durch SMSe haben diese Kultur der Sehnsucht nahezu zerstört. Auf meiner Festplatte hat sich im Museum der Schmerzen noch ein Abschiedsbrief verfangen – an einen Adressaten, dem ich „gleichgiltig“ geworden war. Ich möchte mich noch heute persönlich mit allen zur Verfügung stehenden Fetzen rhythmisch schlagen, dass ich mich vor diesem Mann dermaßen zum Affen gemacht habe. Ich hatte gewinselt, ähnlich wie Erich Maria Remarque einst die Dietrich bekniete, „um einen letzten Lunch und ein letztes gemeinsames Lachen“. „Zu hoch geträumt“ eben, man hätte sich diese Grabrede einer viel zu einseitigen Leidenschaft so richtig sparen können. Meine Damen, sollten Sie sich in so einer Affen-mach-Gefahrenzone befinden, lassen Sie sich von der 18-jährigen Alma Schindler, später bekannt als Künstlersammlerin Mahler-Werfel, inspirieren. Die fetzte dem weitaus älteren Klimt, dessen Interesse an ihr ausgetrocknet war wie ein Bachbett in einer Dürreperiode, Folgendes an den Briefkopf: „Klimt! Du bist meiner unwürdig!“ Eine schöne Alternative böte auch Adele Sandrock, die dem „Doktor“ (Schnitzler) rasend vor Kränkung schrieb: „Sie elendiges, brutales, abscheuliches Wesen! Sie haben geglaubt ein Menschenleben zu vernichten – nein, mein Herr!“

www.pollyadler.at

polly. adler[at]kurier.at

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