Posttraumatische Verbitterungsstörung
Von Polly Adler
Das ist Fs Form der Pornografie.
über Hobby-Psychiatrie
„Ich kann heute nicht zu dir essen kommen“, flüsterte F ins Telefon. „Wieso?“ – „Posttraumatische Verbitterungsstörung. Die kurier ich lieber aus.“ Die Ursache für Fs schicke Krankheit hing nur vordergründig damit zusammen, dass ihr Chef ihr vom Abschiedschampagner einer scheidenden Kollegin kein Flötchen eingeschenkt hatte. Die eigentliche Schuld an ihrer PTVS trägt ihre Hauptmaladie – Cyberondrie. Die liebe, lange Nacht hängt sie im Internet, um sämtliche net-doctor-Seiten nach eleganten Wehwehchen zu durchforsten. Das ist Fs Form der Pornografie. Da sie über eine für sie nahezu enttäuschend körperliche Robustheit verfügt und nicht einmal mit einer schäbigen Histaminunverträglichkeit aufwarten kann, verlegte sie sich auf seelische Krankheitsdiagnosen bei Hinz und Kunz. Stöckelt eine übertakelte Möchtegern-Sexbombe vor uns auf dem Trottoir, murmelt sie nur: „Klarer Fall von histrionischer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Versatzstücken.“ Plärrt ein Autofahrer sie an, dem sie eben die Parklücke weggeschnappt hat, keift sie nur: „Kriegen Sie sich wieder ein mit ihrer disruptiven Launenfehlregulation, Sie frustrationsintolerantes Weh!“ Diese Form der Hobby-Psychiatrie ist ansteckend und wirklich ein herrlicher Freizeit-Spaß. Und praktisch. Für jede Form des schlechten Benehmens findet man einen hochkomplizierten Fachausdruck, der alle heillos überfordert. Beschwert sich jemand bei mir, dass ich ihn nicht zurückgerufen habe, hauche ich ermattet: „Prokrastinismus in Kombination mit einem kognitiven Dissonanz-Tief ist einfach die Hölle.“ Knallt mir ein Vorgesetzter eine Fleißaufgabe um die Ohren, flüstere ich nur: „Dickes, großes Achtung: So ein Burn-Out gibt es ja heutzutage schon völlig problemlos in jedem Drive-in.“ Probieren Sie’s ruhig einmal aus, es tut gar nicht weh.
polly. adler[at]kurier.at
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
240 Seiten, 22,95 Euro bei www.thalia.at